Inklusion an Schulen endlich richtig umsetzen: „Bundesregierung muss liefern!“
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Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) mahnt die Bundesregierung mit Blick auf die veröffentlichte Studie von Prof. Klaus Klemm zu Schulabgängern ohne Hauptschulabschluss, in Sachen Bildung endlich zu liefern. (wir berichteten) „Die Ampelparteien haben sich in ihrem Koalitionsvertrag auf viele richtige und sinnvolle Maßnahmen verständigt.
Dazu gehören beispielsweise das Startchancenprogramm, die Förderung der Jugendberufsagenturen, die assistierte Ausbildung und der Pakt für berufsbildende Schulen. Diese Projekte müssen jetzt ernsthaft und schnell angegangen werden. Sonst werden insbesondere die benachteiligten Kinder und Jugendlichen noch weiter abgehängt“, sagte Ralf Becker, GEW-Vorstandsmitglied Berufliche Bildung und Weiterbildung, in Frankfurt a.M.
Fast 50 Prozent der Schulabgängerinnen und -abgänger ohne Abschluss besuchten Förderschulen, die häufig keinen allgemeinbildenden Abschluss vorsehen. Auch deshalb muss die Inklusion an den Schulen laut Becker gestärkt werden. „Der gemeinsame Unterricht aller Kinder und Jugendlichen in einem inklusiven Schulsystem muss dringend ausgebaut werden.
Dafür müssen die allgemeinbildenden Schulen mehr personelle und materielle Ressourcen erhalten. Wir dürfen nicht weiter tatenlos zusehen, dass so viele junge Menschen die Schule ohne Abschluss verlassen – und damit kaum Berufs- und Lebensperspektiven haben“, hob Becker hervor. Gerade Schülerinnen und Schüler mit Lernschwierigkeiten müssten besonders gefördert und individuell angesprochen werden, um diese zu motivieren. Digitale Angebote seien nur bedingt hilfreich, es brauche den menschlichen Kontakt. Die Erfahrungen aus der Corona-Pandemie hätten gezeigt, dass insbesondere benachteiligte Kinder und Jugendliche mit digitalen Angeboten schlechter als Kinder aus bildungsnahen Elternhäusern erreicht würden.
„Immer mehr Schülerinnen und Schüler mit Behinderung können nur mit Hilfe von externen Dritten, den sogenannten Schulbegleitungen, den Schulalltag meistern. Ganz offensichtlich ist das aktuelle Bildungssystem nach wie vor nicht hinreichend auf die Bedarfe dieser Schülerinnen und Schüler abgestimmt. Es fehlen Lehrkräfte, aber auch bei den Lehrstrukturen gibt es Defizite“, betonte der Präsident des Landkreistags Baden-Württemberg, Landrat Joachim Walter (Tübingen), mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen. „Gänzlich inakzeptabel ist es, dass gerade an den Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren, also an den eigens für Kinder und Jugendliche mit Behinderung eingerichteten Schulen, die Zahl der Schulbegleitungen massiv anwächst“, so Walter weiter.
Damit verfehle Baden-Württemberg, auch ganz klar die Ziele der UN-Behindertenrechts-Konvention. „Ich appelliere daher an die Landesregierung, die Schulen endlich konzeptionell und personell so aufzustellen, dass alle Schülerinnen und Schüler mit Behinderung unabhängig von der Schulart ohne zusätzliche, von den Kreisen zu stellende Unterstützung erfolgreich am Unterricht teilnehmen können“, unterstrich Walter. „Solange dies noch nicht der Fall ist, muss das das Land den Landkreisen unabhängig von der Schulart sämtliche Kosten aller notwendigen Schulbegleitungen erstatten – und nicht nur 20% davon. Es ist nicht hinnehmbar, dass die Kreise als Ausfallbürgen auf Kosten von über 100 Millionen Euro sitzen bleiben, weil das Land seinen Pflichten nicht hinreichend nachkommt. Dieses Geld fehlt uns dann etwa beim Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, bei der klimagerechten Gebäudesanierung oder der Digitalisierung der Schulen“, so Verbandspräsident Walter.
Walter wies auch darauf hin, dass es den Kreisen angesichts des massiven Fachkräftemangels zusehends schwerer falle, überhaupt noch das Personal für individuelle Schulbegleitungen zu finden. „Für mich liegt es auf der Hand“, so Landkreistagspräsident Walter, „dass der Personaleinsatz ungleich effizienter erfolgen könnte, wenn er aus dem vom Land verantworteten Bildungssystem heraus flexibel und aus einer Hand gesteuert würde.“
Becker vom GEW machte sich dafür stark, die sogenannte „Schülerdatennorm“ endlich zu starten. „Ziel ist, dass nach dem Ende der Schule niemand verloren geht und die Jobcenter sowie die Bundesagentur für Arbeit (BA) die Jugendlichen ansprechen und fördern können“, unterstrich der GEW-Experte. Dies werde möglich, wenn die Schulen bestimmte Daten an die Sozialbehörden, die Jobcenter und die BA weitergeben. „Deshalb funktionieren die Jugendberufsagenturen in Bremen und Hamburg viel besser als in anderen Bundesländern“, stellte Becker fest. Diese Maßnahme wäre schnell umzusetzen, wenn Bund und Länder sich einig sind. Die Kosten seien überschaubar.