Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen Verbot des Mitführens eines Blindenführhundes
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Eine erblindete Frau war in Behandlung in einer Physiotherapiepraxis. Diese Praxis befindet sich im selben Gebäude wie die beklagte Orthopädische Gemeinschaftspraxis. Die Physiotherapiepraxis ist zum einen ebenerdig durch die Räumlichkeiten der Orthopädischen Gemeinschaftspraxis zu erreichen und zum anderen durch den Hof über eine offene Stahlgittertreppe. Ein Schild weist beide Wege aus. In der Arztpraxis führt ein Weg durch das Wartezimmer zu einer Notausgangstür, auf der ein Schild mit der Beschriftung „Physiotherapie“ angebracht ist. Die erblindete Frau hatte diesen Durchgang bereits mehrfach mit ihrer Blindenführhündin genutzt. Am 8. September 2014 untersagten die Ärzte der Orthopädischen Gemeinschaftspraxis der Frau, die Praxisräume mit ihrer Hündin zu betreten und forderten sie auf, den Weg über den Hof und die Treppe zu nehmen. Als die Frau an einem anderen Tag erneut die Praxisräume durchqueren wollte, verweigerten sie ihr den Durchgang.
Dagegen hatte die erblindete Frau in den gerichtlichen Vorinstanzen erfolglos geklagt. Da Bundesverfassungsgericht hat der erblindeten Frau (Beschwerdeführerin) jetzt bestätigt, dass der Gerichtsbeschluss der Vorinstanzen ihr Recht aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG verletze, weil das Gericht bei der Auslegung der einschlägigen Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) die Tragweite des besonderen Gleichheitsrechts und seine Ausstrahlungswirkung auf das bürgerliche Recht nicht hinreichend berücksichtigt hat. (2 BvR 1005/18)
In der Begründung heißt es unter Anderem: "Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften Personen wegen ihrer Behinderung gegenüber anderen Personen in besonderer Weise ohne sachliche Rechtfertigung benachteiligen können. Das scheinbar neutral formulierte Verbot, Hunde in die Praxis mitzuführen, benachteiligt die Beschwerdeführerin wegen ihrer Sehbehinderung in besonderem Maße. Denn es verwehrt ihr, die Praxisräume selbständig zu durchqueren, was sehenden Personen ohne Weiteres möglich ist. Das Kammergericht stellt darauf ab, dass die Beschwerdeführerin selbst gar nicht daran gehindert werde, durch die Praxisräume zu gehen, sondern sich wegen des Verbots, ihre Führhündin mitzunehmen, nur daran gehindert sehe. Hierbei beachtet es nicht den Paradigmenwechsel, den Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG mit sich gebracht hat. Es vergleicht die Beschwerdeführerin nicht mit nicht behinderten Personen, sondern erwartet von ihr, sich helfen zu lassen und sich damit von Anderen abhängig zu machen. Dabei verkennt es, dass sich die Beschwerdeführerin ohne ihre Führhündin einer unbekannten Person anvertrauen und sich, ohne dies zu wünschen, anfassen und führen oder im Rollstuhl schieben lassen müsste. Dies kommt einer Bevormundung gleich, weil es voraussetzt, dass sie die Kontrolle über ihre persönliche Sphäre aufgibt."
Autor: kk / © EU-Schwerbehinderung
Rech