Jahresempfang des Behindertenbeauftragten: Scholz als Ehrengast im Zeichen der Inklusion
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Am Dienstag, den 10. September 2024, fand der Jahresempfang des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen Jürgen Dusel im Cafe Moskau in Berlin statt. Unter dem Motto „Inklusion und Teilhabe“ bot die Veranstaltung Raum für Austausch, Inspiration und neue Perspektiven.
Politische und kulturelle Höhepunkte
Bundeskanzler Olaf Scholz nahm als Ehrengast teil und hob in seiner Rede die Bedeutung von Barrierefreiheit und Chancengleichheit als zentrale Bausteine einer gerechten Gesellschaft, hervor. Die Moderatorin des Abends, Kübra Sekin, führte souverän durch das abwechslungsreiche Programm, das nicht nur politische Akzente setzte, sondern auch kulturelle Höhepunkte bereithielt.
Besonders bewegend war die szenische Lesung mit Johanna Kappauf und Thomas Schmauser von den Münchner Kammerspielen. In einem anschließenden Talk diskutierten Kappauf, die Intendantin Barbara Mundel und die renommierte Tänzerin und Professorin Claire Cunningham über die Bedeutung von Inklusion in der Kulturlandschaft. Das Gespräch verdeutlichte, wie wichtig es ist, künstlerische Räume für alle Menschen zu öffnen und Diversität auf Bühnen sichtbar zu machen.
Musik und Begegnung
Ein musikalischer Höhepunkt des Abends war der Auftritt der spanisch-amerikanischen Liedermacherin Victoria Canal, die mit ihrer gefühlvollen Stimme und ihren bewegenden Texten das Publikum begeisterte. Ihre Musik schuf eine Brücke zwischen den Themen des Abends und den Emotionen der Gäste.
Der offizielle Teil des Programms endete gegen 18:30 Uhr, gefolgt von einem geselligen Beisammensein, das den Raum für Austausch und Vernetzung bot. In ungezwungener Atmosphäre hatten die Teilnehmenden die Gelegenheit, sich über ihre Erfahrungen und Ideen auszutauschen.
Barrierefreie Teilhabe im Fokus
Die Veranstaltung überzeugte durch ihre umfassenden barrierefreien Angebote. Von Gebärden- und Schriftdolmetschung über Induktionsschleifen bis hin zur Audiodeskription wurden verschiedene Assistenzoptionen bereitgestellt. Zudem gab es eine Simultanübersetzung in Leichte Sprache, um den Zugang für alle Teilnehmenden sicherzustellen. Für Gäste, die sich aufgrund von Reizüberflutung oder Erschöpfung zurückziehen wollten, stand ein Ruheraum zur Verfügung.
Der Jahresempfang 2024 war ein eindrucksvoller Abend, der nicht nur auf die Herausforderungen, sondern auch auf die Chancen und Möglichkeiten inklusiver Teilhabe aufmerksam machte. Mit starken Impulsen aus Politik, Kultur und Gesellschaft wurde ein weiterer Schritt in Richtung einer gerechteren, barrierefreien Zukunft gesetzt.
Der Jürgen Dusel betonte in seiner Rede aber auch, dass es im Bereich der Inklusion und Barrierefreiheit noch viel zu tun gibt, lobte den anwesenden Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach für seine bisherigen Veränderungen für Menschen mit Einschränkungen im Bereich der Gesundheitsversorgung.
Reform des BGG
Verbände und Vereine fordern schon lange eine Reform des Behinderten- Gleichstellungsgesetz (offiziell: Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen - BGG), dass sich momentan in der Abstimmung zwischen den Ministerien befindet. Das zuständige Bundesministerium für Arbeit und soziales teilte dazu bereits am 28.08.2024 mit "Die Reform des BGG soll die Barrierefreiheit im Privaten verbessern. Kern des Entwurfs ist es, dass künftig auch private Anbietern von Gütern und Dienstleistern im Einzelfall auf Verlangen barrierefreien Zugang zu ihren Produkten sicherzustellen haben („angemessene Vorkehrungen“). Tun sie dies nicht, kann die benachteiligte Person nach einem obligatorisch vorgeschalteten Schlichtungsverfahren vor den Sozialgerichten auf Beseitigung oder Unterlassung klagen."
Kritik kommt jetzt auch vom Sozialverband VdK der mitteilte: Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich auf dem Jahresempfang des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen am Dienstagabend für eine Reform des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) ausgesprochen. Noch wird die Verbändeanhörung aber durch das Bundesjustizministerium blockiert. Dazu sagt VdK-Präsidentin Verena Bentele:
„Die BGG-Novellierung ist überfällig und muss jetzt endlich kommen. Es ist nicht nachvollziehbar, warum das Bundesjustizministerium die Reform immer noch verzögert. Der VdK setzt sich seit Jahren mit Stellungnahmen, Aktionen und Gesprächen dafür ein, dass private Anbieter von Gütern und Dienstleistungen, also beispielsweise Geschäfte, Kinos und Arztpraxen, zur Barrierefreiheit verpflichtet werden. Das würde nicht nur Menschen mit Behinderung das Leben erleichtern, sondern auch älteren Menschen oder Familien mit Kinderwagen. Barrierefreiheit sollte kein Sonderwunsch sein, sondern eine Selbstverständlichkeit.
Die BGG-Reform soll unbedingt die Verpflichtung zu angemessenen Vorkehrungen im Einzelfall beinhalten. Das wird ein wichtiger erster Schritt zu mehr Teilhabe von Menschen mit Behinderung in unserer Gesellschaft. Staat und Politik sollten zudem mit gutem Beispiel vorangehen und die Barrierefreiheit im öffentlichen Bereich, also etwa bei den Gebäuden des Bundes, anpacken.
Eine BGG-Reform kann die Anliegen der Menschen mit Behinderung und ihrer Verbände sowie die Interessen der Wirtschaft in Einklang bringen. Dafür gab es bereits einen langen Diskussionsprozess mit allen Beteiligten. Einem reibungslosen Gesetzgebungsverfahren sollte daher nichts mehr im Wege stehen. Schließlich sind angemessene Vorkehrungen im Einzelfall häufig nicht einmal mit Kosten verbunden: Oft ist eine Handreichung oder eine Hilfestellung ausreichend. Die Wirtschaft betont selbst immer wieder den Inklusionsgedanken und ihre Verantwortung für Barrierefreiheit. Dem muss sie nun gerecht werden.“
Die Rede des Bundeskanzlers im Wortlaut:
„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“
Man könnte meinen, damit sei eigentlich alles gesagt. Denn Artikel 1 schützt den Wert- und Achtungsanspruch eines jeden Menschen, und zwar unabhängig von seinen speziellen Eigenschaften, unabhängig vom sozialen Status und unabhängig von körperlichen und geistigen Fähigkeiten, ganz einfach Kraft seines Menschseins. Man könnte meinen, mit Inkrafttreten des Grundgesetzes seien die Belange von Menschen mit Behinderungen konsequent beachtet worden. Doch wir wissen, dass es leider nicht so war. Unser Grundgesetz formuliert richtige und notwendige Ansprüche. Durchsetzen aber müssen wir sie. Das bleibt auch 75 Jahre später noch genauso wichtig wie am Tag, als das Grundgesetz in Kraft trat.
Das Grundgesetz feiern können wir dennoch, dank Frauen und Männern, die seinen Prinzipien zur Durchsetzung verhelfen, gegen Anfeindungen und gegen Widerstände, gegen gesellschaftliche Vorbehalte und auch immer gegen Gleichgültigkeit, gegen den schulterzuckenden Verweis auf Schwierigkeiten in der Umsetzung.
Damit sind wir bei einem weiteren ganz zentralen Jubiläum in diesem Jahr.
„Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“
Obwohl das so offensichtlich ist, hat es bis 1994 gedauert, bis dieser Grundsatz vor 30 Jahren endlich ausdrücklicher und einklagbarer Teil unserer Verfassung wurde. Formell eingebracht wurde der Antrag damals von der SPD-Bundestagsfraktion unter dem Vorsitz von Hans-Jochen Vogel. Vorausgegangen war ein jahrelanges Engagement von Interessensvertretungen und Verbänden behinderter Menschen. Dahinter standen damals wie heute Frauen und Männer, die sich mit ihrem Engagement für die Rechte von Menschen mit Behinderung um die Achtung der Menschenwürde in unserem Land insgesamt verdient machen - Frauen und Männer wie Sie.
Ihnen allen möchte ich ganz herzlich für Ihren unermüdlichen Einsatz für unsere Demokratie danken. Bitte bleiben Sie dran! Bleiben Sie hartnäckig, und bleiben sie auch laut!
Das gilt umso mehr in Zeiten, in denen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung herausgefordert wird, in denen Populisten mit Hass, Menschenfeindlichkeit und Ausgrenzung Stimmung machen, in denen Inklusion als Ideologieprojekt und Menschen mit Behinderungen als Belastungsfaktor verächtlich gemacht werden. Das ist unerträglich. Solche Menschenfeindlichkeit weise ich mit aller Schärfe zurück.
Ich bin davon überzeugt, dass unsere Antwort mehr Zusammenhalt und mehr Inklusion sein muss.
Dazu gehören gleiche Chancen für Menschen mit Behinderungen, dazu gehört das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben, und dazu gehört natürlich auch Sichtbarkeit.
So wie in den Tagen der gerade zu Ende gegangenen Paralympischen Spiele, bei denen unsere Athletinnen und Athleten uns alle mit sportlichen Höchstleistungen beeindruckt haben. Ich bin mir übrigens vollkommen sicher, dass es diese sportlichen Leistungen und die großartige Stimmung sein werden, die in Erinnerung bleiben, und nichts anderes.
Sichtbarkeit muss aber natürlich auch außerhalb großer Sportereignisse das Ziel sein, an jedem ganz normalen Tag. Dabei ist eines klar: Inklusion ist eine Daueraufgabe. Es gilt, dranzubleiben, und zwar für Bund, Länder und Gemeinden, mit großen und manchmal auch mit vielen kleinen Schritten.
Zu den größeren Schritten zählt sicherlich, dass im kommenden Jahr endlich das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz in Kraft tritt. Dann müssen zum Beispiel neue Computer und Handys barrierefrei bedienbar sein.
Bereits zu Beginn der Legislaturperiode haben wir das Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes verabschiedet. Arbeitgeber können jetzt höhere Lohnkostenzuschüsse bekommen, wenn sie einen Menschen mit Behinderung einstellen und beschäftigen. Und Arbeitgeber, die keinen einzigen Schwerbehinderten beschäftigen, müssen eine deutlich höhere Ausgleichsabgabe zahlen. ‑ Gut so!
Mit dem Programm „Altersgerecht Umbauen“ unterstützen wir diejenigen, die ihre Wohnung barrierefrei gestalten müssen. Denn im eigenen Zuhause zu leben, das ist für viele nicht nur ein Herzenswunsch, sondern schafft Lebensqualität. Ich freue mich, dass wir die Mittel für dieses wichtige Programm in diesem Jahr auf 150 Millionen Euro verdoppeln konnten, und das trotz knapper Kassen.
Mit dem Mobilitätsdatengesetz erreichen wir, dass Informationen zur Auslastung von Rollstuhlplätzen in Bussen und Bahnen nun verpflichtend bereitgestellt werden. Und wir sorgen beispielsweise mit einer neuen DIN-Norm dafür, dass Ladestationen für E‑Autos auch barrierefrei gebaut werden können.
Meine Damen und Herren, das alles sind Fortschritte. Aber wie der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen letztes Jahr festgestellt hat, sind wir noch lange nicht fertig mit unseren Aufgaben. Es gibt noch viele Baustellen auf dem Weg in die inklusive Gesellschaft, und das gilt manchmal ganz wörtlich.
Wir brauchen zum Beispiel noch viel mehr barrierefreie oder barrierearme Wohnungen. Damit wir schneller bauen können, erarbeiten wir gerade mit den Ländern einheitliche Standards.
Wir stehen zu dem Ziel, die bestehenden gesetzlichen Ausnahmen bei der Barrierefreiheit im Nahverkehr abzuschaffen. Dazu sind wir mit den Ländern im Gespräch. Wir wollen das gemeinsam hinkriegen.
Wir sind dabei, die Werkstätten für behinderte Menschen stärker auf die Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt auszurichten. Dazu werden wir demnächst einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen.
Auch auf dem Weg zu einem inklusiven Bildungssystem unterstützt die Bundesregierung die Länder so gut es geht. Mit dem neuen Startchancen-Programm ist beispielsweise auch der Ausbau moderner und barrierefreier Schulen möglich.
Und schließlich ‑ darüber freue ich mich besonders ‑ geht es endlich voran mit der Reform des Behindertengleichstellungsgesetzes. Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, sollen künftig auch private Anbieter von Produkten und Dienstleistungen verpflichtet werden, Barrieren für Menschen mit Behinderungen abzubauen.
Ich weiß, Sie warten auf diese Reform. Wir setzen uns dafür ein, dass sie jetzt schnellstmöglich auf den Weg gebracht wird. An die Adresse all derjenigen, die vor den Schwierigkeiten bei der Umsetzung warnen: Niemand erwartet Unmögliches. Es geht um angemessene Vorkehrungen, die den Unternehmen letztlich auch neue Kundinnen und Kunden bringen.
Meine Damen und Herren, wenn wir über Gleichstellung reden, schauen wir natürlich auch über Deutschland hinaus. Sie wissen es: Menschen mit Behinderungen gehören weltweit zu den am stärksten benachteiligten Gruppen. Deshalb rücken wir die Inklusionspolitik auch international in den Fokus. Im Oktober gibt es erstmals überhaupt eine G7-Ministerkonferenz zum Thema Inklusion und Behinderung, und im kommenden April richten wir hier in Berlin gemeinsam mit Jordanien und der International Disability Alliance den dritten Global Disability Summit aus. Dort werden wir konkrete Maßnahmen und Verpflichtungen diskutieren, um die Situation von Menschen mit Behinderungen weltweit zu verbessern.
„Demokratie braucht Inklusion“ ‑ Sie bringen es mit Ihrem Motto hervorragend auf den Punkt, lieber Herr Dusel. Und Sie leben es, mit Ihrem beherzten, leidenschaftlichen Einsatz für die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Gleiches gilt für die Sozial- und Wohlfahrtsverbände, die Beschäftigten bei den Leistungserbringern, die vielen Ehrenamtlichen, Familien und Freunde.
Ihnen allen sage ich heute vielen Dank für ihren Dienst für andere, vielen Dank für ihren Dienst an unserer Demokratie.
Wenn ich heute einen Wunsch äußern darf, dann ist es dieser: Bleiben wir gemeinsam dran.
Autor: dm
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