Lindner fordert von Scholz sofortige Vertrauensfrage und Neuwahlen
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Am heutigen Nachmittag entließ Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Bundesfinanzminister Christian Lindner aus seinem Amt und würdigte dabei Lindners Einsatz für fiskalische Stabilität. Lindner hatte während seiner Amtszeit besonders auf Haushaltsdisziplin und die Einhaltung der Schuldenregel Wert gelegt. Doch die Krisen der letzten Jahre, vor allem der Ukraine-Konflikt und die wirtschaftlichen Herausforderungen, brachten Spannungen in der Bundesregierung ans Licht, die letztlich zu seiner Entlassung führten.
Gestern Abend hatte Bundeskanzler Olaf Scholz in einem Pressestatement erklärt, dass er den Bundespräsidenten um Lindners Entlassung gebeten habe. Scholz betonte, dass diese Entscheidung notwendig gewesen sei, um „Schaden von unserem Land abzuwenden.“ Er beschuldigte Lindner, wiederholt Gesetze blockiert und sein Vertrauen missbraucht zu haben. „Es gibt keine Basis mehr für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit“, sagte Scholz in ernster Tonlage.
Weiter sagte Steinmeier bei der Entlassung von Lindner: „Sehr geehrter Herr Lindner, Ihnen war es ein zentrales Anliegen, die Staatsverschuldung unter Kontrolle zu halten. Sie haben daher große Anstrengungen unternommen, Haushalte vorzulegen, die der Schuldenregel entsprechen. Auch die Reform des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes war dem Ziel fiskalischer Stabilität verpflichtet."
„In einer Zeit der schweren Krisen, nicht zuletzt infolge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, der eine tiefe Zäsur ist und unser Land vor ganz neue Aufgaben stellt, war dieses Ziel innerhalb der Bundesregierung offenbar zunehmend umstritten. Die unterschiedlichen Auffassungen, wie beides vereinbar ist – die Schuldengrenze zu wahren und gleichzeitig angemessen auf Krisen zu reagieren –, führten am Ende zu unüberbrückbaren Differenzen in der Bundesregierung“, sagte der Bundespräsident.
„Jede Bundesregierung kommt ins Amt mit dem Mandat, mit der Verantwortung und dem Wunsch, dieses Amt für die gesamte Legislaturperiode auszuüben. Ein Minister sollte vier volle Jahre seine Arbeit tun können. Ein so herausgehobenes Amt ist mit viel Arbeit, Sorge und öffentlicher Kritik verbunden“, betonte Steinmeier. „Es wird keinem Minister leicht fallen, nun unabgeschlossene Projekte liegen zu lassen und die Arbeit zu beenden.“
„Doch können Umstände eintreten, die zu einem vorzeitigen Ende einer Regierungskoalition führen, wenn unterschiedliche Auffassungen zwischen den Partnern zu großen Gegensätzen werden, die nicht mehr zu überwinden sind. Sie sind offenbar an diesem Punkt angelangt“, sagte der Bundespräsident.
„Wenn Sie jetzt aus der Bundesregierung ausscheiden, möchte ich Ihnen im Namen der Bundesrepublik Deutschland meinen Dank aussprechen für die Arbeit, die Sie für unser Land geleistet haben, und wünsche Ihnen für die Zukunft alles Gute“, betonte Steinmeier.
„Verehrter Jörg Kukies, Sie übernehmen das Amt des Bundesministers für Finanzen in einer schwierigen Zeit mit großen Herausforderungen. Sie kennen die Materie seit langer Zeit und gehen in das Amt mit der Erfahrung vieler Jahre der Verantwortung als Staatssekretär zweier Bundesregierungen. Zu Ihrer neuen Aufgabe gratuliere ich Ihnen herzlich und wünsche Ihnen gutes Gelingen“, sagte der Bundespräsident.
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner MdB gab zum Ende der Ampel-Regierung das folgende Statement ab:
„Jetzt stehen Richtungsentscheidungen für unser Land an, aber wir treffen in diesem Moment auch eine Entscheidung über unsere politische Kultur. Parteien stehen im demokratischen Wettbewerb. Eine Regierung wägt und ringt intern um Lösungen. Dabei kommt es manchmal zu politischen und manchmal auch zu menschlichen Enttäuschungen.
Ich habe viele Worte über die FDP und über mich gehört. Manches macht mich betroffen, manches ist Anlass zum Nachdenken. Anderes ist schlicht falsch. Ich habe mich dennoch entschieden, mich an dieser Form der öffentlichen Auseinandersetzung nicht zu beteiligen. Zu staatspolitischer Verantwortung gehört auch Stil in der Öffentlichkeit, damit die Demokratie keinen Schaden nimmt.
Die Regierung Scholz war von Anfang an mit Herausforderungen konfrontiert. Äußeren Herausforderungen durch die wirtschaftliche Entwicklung und durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Aber die Regierung Scholz war auch immer von inneren Herausforderungen gekennzeichnet. Es war eine Koalition, die sich nicht gesucht hat, sondern die zusammengeführt worden ist durch die Umstände nach der Bundestagswahl 2021. Grundlegende politisch-programmatische Unterschiede wird niemand leugnen, der die Wahlprogramme bei der letzten Wahl gelesen hat. Wir haben uns dennoch auf ein Regierungsprogramm verständigt. Über die Zeit hat sich allerdings offenbart, dass im Koalitionsvertrag an vielen Stellen politische Dissense im Text versteckt waren. Es hat sich gezeigt, dass wir viele politische Unterschiede nur dadurch überbrückt haben, dass Geld zur Verfügung stand, um auch eigentlich unvereinbare politische Konzepte vereinbar zu machen.
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, mit dem das im Koalitionsvertrag auf Vorschlag von Olaf Scholz vorgesehene sogenannte ‚Frontloading‘ von 60 Milliarden Euro für verfassungswidrig erklärt worden ist, kam diese Art der Entscheidungsfindung spätestens an ein Ende.
Ich muss mir vorwerfen, dass ich nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht entschiedener auf eine Klärung der Prioritäten gedrungen habe. Ich muss mir im Übrigen auch vorwerfen, dass ich im Zuge der Aufstellung des Regierungsentwurfs für den Haushalt 2025 nicht auf dauerhaft belastbare Klärungen gesetzt habe.
Und manche werden mir auch vorwerfen, die FDP hätte zu lange an der Regierung Scholz festgehalten. Dafür muss ich Verantwortung übernehmen. Wir haben stets gehofft, dass mit den notwendigen Kompromissen am Ende doch Fortschritt möglich wird.
Die wirtschaftliche Lage und auch die Entwicklung der öffentlichen Finanzen haben diesen Schwebezustand und haben auch diese Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners jetzt nicht mehr möglich gemacht. Die Menschen haben gegenwärtig oft Angst um ihre Arbeitsplätze, um ihre eigene wirtschaftliche Zukunft. Die Akzeptanz für die Regierung Scholz ist in den vergangenen Monaten immer weiter gesunken. Ich habe hier viele Gespräche mit Bürgerinnen und Bürgern, mit Mittelständlern, mit Familienunternehmen, mit Arbeitnehmervertretern geführt. Und immer wieder höre ich die Sorgen, die dringenden Appelle, dass sich in unserem Land etwas ändern muss. Dass wir das, was auch an Versäumnissen über Jahre und Jahrzehnte entstanden ist, endlich überwinden. Dass wir dem Land eine klare gemeinsame Richtung geben, mehr Ambition zeigen. Mich hat das menschlich betroffen gemacht. Ich habe gelitten, dass ich oft nicht sagen konnte: Wir werden jetzt handeln und wir werden jetzt das Notwendige tun. Weil sich die Regierung in sich blockiert hat. Mich hat das teilweise auch an den Rand dessen gebracht, was ich überhaupt politisch verantworten kann. Zu sehen auch, wie unbefriedigt die Bürgerinnen und Bürger sind, wenn man ihnen die Durchhalteparole gibt: Jetzt bald kommt aber eine neue Wachstumsinitiative. Jetzt bald treffen wir die notwendigen Entscheidungen. Jetzt bald treffen wir die Richtungsentscheidungen, die so viele Menschen erwarten. Mich hat das menschlich aufgerieben.
Deshalb ist es gut, dass es jetzt eine Richtungsentscheidung für unser Land gibt. Schon die verabredete Wachstumsinitiative der Regierung Scholz kommt nicht voran. Und diese von uns verabredete Wachstumsinitiative ist ja weit entfernt von dem, was unser Land wirklich braucht. Das haben alle erkannt. Die Sozialdemokraten haben ihre Beschlüsse in der Fraktion gefasst, was sie eigentlich für eine Wirtschafts- und Finanzpolitik für unser Land für richtig erachten. Die Grünen und der Wirtschaftsminister selbst haben vorgeschlagen, wie sie denn unser Land wirtschaftlich weiterentwickeln wollen. Und auch ich habe ein Papier vorgelegt. Bei all dem haben wir uns aber lange blockiert, weil wir eben völlig unterschiedliche Sichtweisen haben.
Meine Befürchtung ist: Die Dramatik der Situation in unserem Land ist nicht bei allen in gleicher Weise angekommen. Es ist auch nicht bei allen in gleicher Weise angekommen, wie erheblich und empfindlich der Akzeptanzverlust der Regierung Scholz in der Öffentlichkeit ist.
Wir wollten eine neue wirtschaftliche Dynamik ermöglichen. Es hat sich in den vergangenen Tagen gezeigt, dass die Konsequenzen aus der aktuellen Situation vollkommen unterschiedlicher Art sind. Auch der Bundeskanzler Olaf Scholz hat ja ein Papier vorgelegt. Auf diesem Papier ist von Agenda die Rede. Im Titel des Scholz-Papiers kommt Agenda vor, im Papier selbst nicht. Die Bürgerinnen und Bürger können nun beurteilen, wer welches Angebot für den weiteren Weg unseres Landes gemacht hat. Wer die wirtschaftliche Zukunft des Landes sichern will, wer den Menschen eine Perspektive geben will, wer auch den Mut hat zu pragmatischen Lösungen, wer die Kraft hat, auch einen neuen Weg für unser Land zu beschreiten. Ich bin sicher, die Bürgerinnen und Bürger können sich ihr eigenes Urteil darüber bilden. Das jedenfalls, was das Land braucht und was in der Ampel möglich war, ging immer weiter auseinander.
Mit Blick im Übrigen auf die Ukraine – ein Thema, das ja öffentlich angesprochen worden ist – haben wir miteinander intensiv gerungen. Für die Freien Demokraten stand die Unterstützung der Ukraine nie infrage. Andere haben stets gezaudert. Die Freien Demokraten nie. Wir haben auch gestern im Koalitionsausschuss über diese Frage gesprochen. Es war ja ein gemeinsames Bemühen der Bundesregierung auf internationaler Ebene, 50 Milliarden Dollar für die Unterstützung der Ukraine zu mobilisieren. Das ist von allen gelobt worden. Übrigens stand hinter diesem Vorhaben auch die Absicherung für den Fall eines Politikwechsels in den Vereinigten Staaten von Amerika. Gestern nun wurde der Vorschlag unterbreitet vom noch amtierenden Bundeskanzler, weitere drei Milliarden Euro für die Ukraine zur Verfügung zu stellen. Nicht aber drei Milliarden Euro würden angesichts des zur Verfügung stehenden Mittelvolumens den Unterschied machen. Ich habe im Koalitionsausschuss für die Freien Demokraten gesagt: Wenn wir eine andere, eine stärkere Unterstützung der Ukraine wollen, dann sind nicht drei Milliarden Euro zusätzlich nötig. Dann sollte Deutschland die Entscheidung treffen, die Ukraine mit den Waffensystemen auszustatten, die die Ukrainerinnen und Ukrainer zur Verteidigung ihrer Freiheit brauchen, nämlich insbesondere dem Waffensystem Taurus. Dazu gab es keine Bereitschaft.
Denn in Wahrheit ging es nur um eins: Unter dem Vorwand der Unterstützung der Ukraine 15 Milliarden Euro mehr Schulden zu machen, um vor den notwendigen Entscheidungen zu fliehen. Es gab dabei nicht einmal eine präzise Vorlage, um die verfassungsrechtliche Zulässigkeit dieses Vorschlags zu prüfen. Mit einem so fahrlässigen Umgang mit dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland hätte ich meinen Amtseid verletzt. Das wusste der noch amtierende Bundeskanzler. Dies dennoch ultimativ von mir zu verlangen, war der vorsätzliche Bruch der Koalition.
Deshalb ist es gut, dass das Land nun eine neue Wahl hat. In dem von mir so genannten „Herbst der Entscheidungen“ war dies ja auch eine der möglichen Optionen. Eine andere Option wäre gewesen, dass wir uns geeinigt hätten. Dazu war mein Papier eine Beratungsgrundlage, aber niemals haben wir es als ein Diktat verstanden. Hätten wir uns auf eine Wachstumsinitiative plus, auf eine Wirtschaftswende, die den Namen verdient, verständigt, dann hätte ich auf einem außerordentlichen Bundesparteitag im Dezember die Zustimmung zu dieser neuen Verständigung der Koalition mit der Vertrauensfrage hinsichtlich der Führung meiner Partei verbunden.
Eine andere Alternative wäre ein geordnetes Ende dieser Bundesregierung gewesen, nachdem die Regierung Scholz ihre inneren Gemeinsamkeiten verbraucht und ihre Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern verloren hat. Es wäre dennoch möglich gewesen, in Würde und geordnet dieses Kapitel zu beenden. Ich habe deshalb dem noch amtierenden Bundeskanzler am Sonntagabend vorgeschlagen, für den Fall, dass wir uns nicht einigen, gemeinsam den Weg zu Neuwahlen Anfang des nächsten Jahres zu beschreiten. Ich habe dieses Angebot gestern im Koalitionsausschuss noch einmal wiederholt. Ich habe dort unterstrichen, dass die Freien Demokraten in diesem Fall bereit gewesen wären, auch den aus meiner Sicht unverändert wichtigen Nachtragshaushalt für das Jahr 2024 und andere Entscheidungen, die im überragenden Staatsinteresse sind, mitzutragen. Die FDP wäre auch bereit gewesen, einer noch geschäftsführenden Regierung anzugehören, sofern wir gemeinsam schnell Anfang des nächsten Jahres vor die Wählerinnen und Wähler getreten wären.
Stattdessen gab es gestern eine Entlassungsinszenierung, um dann doch meinen Vorschlag aufzugreifen. Staatspolitisch ist das bedauerlicherweise wenig verantwortungsbewusst. Das Bundeskanzleramt darf keine Wahlkampfzentrale werden. Unser Land braucht eine Regierung, die nicht nur amtiert, sondern die agieren kann. Das Richtige für unser Land wären die sofortige Vertrauensfrage und Neuwahlen.
Niemand darf in der Demokratie Angst vor den Wählerinnen und Wählern haben. Rasche Neuwahlen nach der gescheiterten Regierung Scholz sind im Übrigen nicht nur für die Demokratie wichtig. Unser Land darf keine Zeit verlieren. Die Bürgerinnen und Bürger müssen nun die Möglichkeit haben, Richtungsentscheidungen für ihre Zukunft selbst zu treffen.“