15 Jahre UN-Behindertenrechtskonvention - Blamabel für Deutschland
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Kaum nähert sich der 3. Dezember, wird wie jedes Jahr ein Thema publik, denn der Tag ist der "Tag der Menschen mit Behinderungen", ein Tag der sich eigentlich nur mit entsetzen und Enttäuschungen füllen lässt. Schuld daran ist nicht die UN-Behindertenrechtskonvention, sondern vielmehr die Umsetzung in Deutschland. Ist es der 3. Dezember an dem immer noch die Belange der Menschen mit Behinderungen in das Bewusstsein der Köpfe gelangen muss, denn diese sind genauso vielfältig, wie unsere Gesellschaft.
Zu oft wird der Fehler begangen, an diesem Tag nur an jene zu denken, die sichtbare Einschränkungen haben und weniger jene, die mit unsichtbaren Einschränkungen leben. Wenn eine Partei das Kontrollgremium für die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention abschaffen will, ist das mehr als etwas, dass alle verunsichern sollte. Am Ende kann es jeden treffen und sei es einfach nur die Einschränkung, die altersbedingt entsteht.
Mit der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) war eigentlich vorgesehen, Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen zu vermeiden – eine Absicht, die sich auch im Grundgesetz wiederfindet, denn dort heißt es "[..] Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden [..]". Trotzdem gibt es Kritik, dass genau dieser Teil auf den Grundgesetztafeln im Regierungsviertel der Bundesregierung, fehlt. Es wird allerdings, auch 75 Jahre nach dem Grundgesetz eine Debatte bleiben, die vermutlich nie enden wird, so sollen doch die Grundgesetztafeln jene sein, die 1949 als "Gründungsformulierung" des Grundgesetzes entstanden sind. 1949, nur wenige Jahre nach dem zweiten Weltkrieg, schien man trotz aller Erfahrungen, das Thema "Behinderung" immer noch nicht in die gesellschaftliche Mitte holen zu wollen. Obwohl damals viele Menschen in Folge des Krieges, durchaus Einschränkungen aufwiesen.
Mit der UN-BRK, also jenem verschriftlichten Menschenrecht, das auch von Deutschland unterzeichnet wurde, entstand die große Hoffnung, dass sich alles verbessert. Doch dem scheint nicht so zu sein, denn auch am diesjährigen „Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen“, dem 3. Dezember, lädt das Bündnis Barrierefreiheit Jetzt! gemeinsam mit dem Deutschen Behindertenrat (DBR) um 9:30 Uhr zu einer Kundgebung vor der Installation „Grundgesetz 49“ am Reichstagsufer 4, in der Nähe des Reichstags in Berlin, ein. Damit protestieren Behindertenverbände gegen die bisherige Untätigkeit der Regierung und für konkrete gesetzliche Regelungen für mehr Barrierefreiheit.
„75 Jahre Grundgesetz und 30 Jahre Grundgesetzergänzung um den Satz´Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden´ haben auch unter der Ampel-Regierung kaum Fortschritte für behinderte Menschen gebracht“, kritisiert der Publizist und Aktivist H.-Günter Heiden, der gerade ein Buch zum Kampf um die Grundgesetzergänzung veröffentlicht hat. Im Koalitionsvertrag von 2021 sei versprochen worden, private Anbieter*innen von Waren und Dienstleistungen zur Barrierefreiheit und zu angemessenen Vorkehrungen zu verpflichten. Auch die Deutsche Bahn sollte barrierefrei werden. „Aus diesen Vorhaben ist nichts geworden“, bemängelt Behindertenaktivist Heiden. „Seit mindestens 30 Jahren werden wir vertröstet, während gleichzeitig unsere Menschenrechte durch fehlende Barrierefreiheit und damit fehlende Teilhabe tagtäglich verletzt werden. Mit dieser Protestaktion fordern wir die Mitglieder des Deutschen Bundestages auf, die verbleibende Zeit in dieser Legislaturperiode zu nutzen, um verbindliche Regelungen für mehr Barrierefreiheit zu verabschieden.“
Wie weit Deutschland allerdings wirklich von der Umsetzung zur Barrierefreiheit ist, darüber lässt sich streiten, auch wenn viele Aktivisten und Verbände gezwungenermaßen, immer wieder auf Misstände hinweisen muss. Misstände die immer wieder transparent machen, wo es noch Grenzen in der Barrierefreiheit gibt und somit zum Hinderniss zur Teilhabe wird.
Selbst Menschen mit altersbedingten Behinderungen werden Rechte entzogen. Sie gelten zwar als Menschen mit Behinderungen, aber altersbedingte Behinderungen verwehren den Anspruch auf einen Schwerbehindertenausweis und somit auch auf Nachteilsausgleiche die Menschen mit Behinderungen normalerweise für sich beanspruchen können um Teilhabe zu ermöglichen.
Der Bildungsbereich ist eines der weiteren Kritikpunkte, denn immernoch gibt es Förderschulen und Inklusion an allgemeinbildenen Schulen bleibt aus. Oft mit der Begründung, das Fachpersonal würde fehlen. Dabei wäre die Schließunfg einer Förderschule auch die Möglichkeit, dass dort frei werdene Fachpersonal an der allgemeinbildenen Schule wieder zu beschäftigen. Das verdeutlicht, wie Argumentationen gesucht werden, um Inklusion an Bildungseinrichtungen zu unterbinden.
Oft wird von Eltern nichtbehinderter Kinder argumentativ dargestellt, das ein behindertes Kind den Schulalltag negativ beeinflussen könnte. Das dem nicht so ist, beweisen unter Anderem die Inklusionsschulen in Hamburg.
Der Sozialverband VdK Nord zieht ebenfalls Bilanz und stellte dar: Inklusion bleibt vielerorts eine leere Hülle – und das, obwohl die Herausforderungen immer größer werden. Wie IT.NRW als Statistisches Landesamt heute mitteilt, leben in NRW 1,94 Millionen Menschen mit einer anerkannten Behinderung und damit knapp 26.000 mehr als zwei Jahre zuvor. „Dies ist ein klares Signal, dass die Gesellschaft zunehmend inklusiver werden muss. Die demografische Entwicklung und die damit verbundene erheblich steigende Zahl älterer Personen werden dazu führen, dass immer mehr Menschen auf Unterstützung und Barrierefreiheit angewiesen sind“, betont der VdK-Landespräsident Horst Vöge.
Auch im Rahmen des 15. Jubiläums der UN-Behindertenrechtskonvention und zum Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung mahnt der Sozialverband VdK NRW echte Veränderungen in den Bereichen Bildung, Arbeit, Wohnen und der öffentlichen Infrastruktur an. „Es gibt keinen Grund zum Feiern. Inklusion ist zwar als Thema präsenter geworden, etwa bei der Fußball-Europameisterschaft der Männer im Sommer. Aber: Trotz klarer gesetzlicher Verpflichtungen sind Menschen mit Behinderung in vielen Bereichen unseres täglichen Lebens immer noch benachteiligt. Es ist traurig, dass diese Menschen auch 2024 im Alltag auf unüberwindbare Barrieren stoßen“, sagt Horst Vöge.
Deshalb fordert der VdK: Es braucht in den Kreisen, Städten und Gemeinden ein konsequentes Umdenken bei der Stadtplanung und der Gestaltung des öffentlichen Raums. Barrierefreie Wohnungen und die uneingeschränkte Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel müssen endlich Standard und nicht die Ausnahme werden.“ Der VdK-Landespräsident sagt: „In zahlreichen Unternehmen fehlen immer noch inklusive Arbeitsplätze, barrierefreie Arbeitsumfelder, gezielte Fördermaßnahmen und eine glaubwürdige Bereitschaft zur Anpassung von Arbeitszeitmodellen.“ Dies belegt auch eine neue Studie des Handelsblatts Research Institutes und der Aktion Mensch, wonach sieben Prozent mehr Menschen mit Behinderung in NRW arbeitslos sind als ein Jahr zuvor. Der VdK setzt sich deshalb weiterhin dafür ein, dass die UN-Behindertenrechtskonvention konsequent umgesetzt wird und Menschen mit Behinderung gleichberechtigt und uneingeschränkt am sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben teilhaben können.
Autor: kk / © EU-Schwerbehinderung