Spahn – Gesetzentwurf zum Schutz der Bevölkerung bei epidemischer Lage
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Der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), hat gestern am 7. Mai im Plenum des Bundestag, den Entwurf zum zweiten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vorgestellt. Im Gesetzentwurf Drucksache: 19/18967 heißt es:
Mit dem Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite sowie dem COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz, jeweils vom 27. März 2020, hat der Gesetzgeber erste Maßnahmen getroffen, um zum einen das Funktionieren des Gesundheitswesens in einem die gesamte Bundesrepublik betreffenden seuchenrechtlichen Notfall sicherzustellen und zum anderen die mit dieser besonderen Situation verbundenen negativen finanziellen Folgewirkungen in der Gesundheitsversorgung abzumildern.
Mit dem Gesetzesentwurf sind unter anderem folgende Regelungen zur weiteren Abmilderung der mit der Corona-Pandemie verbundenen Folgen vorgesehen: Das Infektionsschutzgesetz (IfSG) wird weiterentwickelt und präzisiert. Unter anderem wird dauerhaft eine gesetzliche Meldepflicht in Bezug zu COVID-19 und SARS-CoV-2 verankert, dies betrifft auch neu eingeführte Meldepflichten zur Genesung und bei negativen Labortests. Testungen in Bezug zu COVID-19 sollen auf Basis einer Rechtsverordnung, die Personenkreis, Art und Umfang der Testungen beschreibt, symptomunabhängig Bestandteil des Leistungskatalogs der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) werden, auch durch den öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) vorgenommene Testungen können bei Versicherten über die GKV abgerechnet werden.
Der ÖGD soll durch Maßnahmen des Bundes während der epidemischen Lage von nationaler Tragweite unterstützt werden. Eine Verordnungsermächtigung für eine gesetzliche Verankerung einer laborbasierten Surveillance wird aufgenommen. Die außerordentliche kurze Frist zur Geltendmachung eines Anspruchs nach § 56 Absatz 5 IfSG (Entschädigung bei Tätigkeitsverboten, Absonderungen und Wegfall der Betreuungseinrichtungen) soll von drei auf zwölf Monate verlängert werden. Als vorbeugender Schutz der Bevölkerung vor Influenza und um eine Belastung des Gesundheitssystems zusätzlich durch Influenza für den Fall, dass sich die COVID-19-Pandemie fortsetzt, so niedrig wie möglich zu halten, werden Vorkehrungen für die Versorgung der Versicherten mit saisonalem Grippeimpfstoff für die Grippesaison 2020/2021 getroffen.
Für den Krankenhausbereich werden über die im COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz vorgesehenen Regelungen hinaus weitere Maßnahmen ergriffen, die die Krankenhäuser bei der Bewältigung der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelösten Pandemie unterstützen. Dazu wird in Krankenhäusern, die Patientinnen und Patienten mit einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 oder mit dem Verdacht auf eine entsprechende Infektion behandeln, die Einhaltung bestimmter Mindestmerkmale aus dem Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) vorübergehend von der Prüfung der Abrechnung ausgenommen. Zudem wird die Einführung des Prüfquotensystems um ein Jahr auf das Jahr 2022 verschoben. Um die Überprüfung der Auswirkungen der mit dem COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz beschlossenen Maßnahmen auf die wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser auf einer aussagekräftigen und belastbaren Informationsgrundlage durchführen zu können, wird ferner eine hierfür erforderliche Datenübermittlung der Krankenhäuser vorgesehen. Es wird eine Rechtsgrundlage für die Durchführung von Pilotprojekten zur Ermöglichung der Verwendung von Verordnungen von digitalen Gesundheitsanwendungen in Textform geschaffen.
Zur Rede des Bundesministers im Reichstag teilte das Bundesgesundheitsministerium mit:
„Ein leistungsstarkes, ein belastbares Gesundheitswesen ist entscheidend in einer Lage wie dieser. Ein solches Gesundheitswesen, leistungsstark und belastbar, ist ein Stabilitätsanker eines funktionierenden Staates. Und dieses Gesundheitswesen in dieser Lage und ganz generell weiter zu stärken, ist unser Ziel, auch das Ziel dieses Gesetzentwurfs. Es geht um eine Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, vor allem der Behörden vor Ort, in den Landkreisen und kreisfreien Städten, aber auch beim Robert-Koch-Institut. Dort ist eine personelle Stärkung vorgesehen. Darüber hinaus sind klare Ansprechpartner für die Kommunen vorgesehen.
Gerade auch im Hinblick auf die gestrige Entscheidung der Ministerpräsidenten und der Bundeskanzlerin ist die Möglichkeit zur schnellen und zügigen Nachverfolgung von Kontaktpersonen, von Infizierten und die Unterbrechung von Infektionsketten ein ganz entscheidender Punkt. Deswegen investieren wir nicht nur in die personelle Ausstattung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, sondern vor allem auch in eine technische Auf- und Ausrüstung. Dazu gehört - es ist gerade schon angesprochen worden - ein Onlinetool für die Meldewege. Weitere Investitionen in die Digitalisierung machen wir mit diesem Gesetz möglich, auch mit einem Förderprogramm. Der Öffentliche Gesundheitsdienst ist ein wichtiger Pfeiler in dieser Krise, und wir wollen ihn weiter stärken.
Darüber hinaus machen wir möglich, dass mehr Tests auf das Coronavirus finanziert werden, auch von den gesetzlichen Krankenkassen. Jetzt, nachdem es uns gemeinsam gelungen ist, die Dynamik - auch bei der Zahl der Neuinfektionen - wieder in eine Entwicklung zu bringen, mit der wir im Gesundheitswesen insgesamt umgehen können, ist es wichtig, gerade auch in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen noch mehr zu testen, als es in den letzten Wochen der Fall war; denn insbesondere dort, einfach aus der Behandlungssituation heraus, bestehen hohe Infektionsrisiken.
Deswegen machen wir es möglich, dass die gesetzlichen Krankenkassen präventives Testen in den Pflegeeinrichtungen, in den Krankenhäusern, auch bei der Verlegung und Aufnahme in ein Krankenhaus oder eine Pflegeeinrichtung finanzieren, auch für das Personal in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Das ist ganz, ganz wichtig, um insbesondere dort schnell und zügig nachvollziehen zu können, wenn es zu Infektionsherden kommt. Wir haben gesehen, wie brutal dieses Virus gerade in Pflegeheimen zuschlägt, weil es insbesondere für die Höchstbetagten sehr gefährlich ist. Deswegen ist es wichtig, dass wir die Testkapazitäten nicht nur ausweiten - es sind mittlerweile bis zu 1 Million Tests in der Woche möglich -, sondern auch umfänglicher finanzieren. Auch das wollen wir mit diesem Gesetz möglich machen.
Der Einsatz vieler Millionen, die im Gesundheitswesen jeden Tag tätig sind, hat uns bis hierhin gut durch diese Krise getragen. Sie haben unter erschwerten Bedingungen gepflegt, geheilt, behandelt. Das gilt besonders auch in der Altenpflege: ambulant und stationär. Dort kam es aufgrund von Stress zu sehr schwierigen, auch persönlich schwierigen Situationen. Es gab die Besuchsverbote, die vor allem zum Schutz der Bewohnerinnen und Bewohner notwendig waren und jetzt zum Teil gelockert werden. Diese Verbote sind aber auch hart, wenn es nicht möglich ist, den eigenen Partner, die Partnerin, die Verwandten, die Familie, die Freunde zu sehen und zu besuchen. Dadurch entstehen auch emotional schwierige Situationen, die über die generellen Herausforderungen, in der Pflege zu arbeiten, hinausgehen.
Deswegen ist mir wichtig, dass wir mit diesem Gesetz auch über eine Prämie in der Altenpflege für diejenigen, die ambulant und stationär in Pflegeeinrichtungen tätig sind - beispielsweise Pflegefachkräfte -, von 1 000 Euro entscheiden, finanziert von den Pflegekassen. Einige Bundesländer haben schon gesagt und beschlossen, dass sie das auf die maximal möglichen 1 500 Euro aufstocken. Diese Prämie ist in diesem Jahr steuer- und abgabenfrei. Der Applaus ist wichtig, die Anerkennung ist wichtig, aber auch die finanzielle Anerkennung ist wichtig, und die stellen wir mit diesem Gesetz sicher.
Auch das will ich erwähnen: Aufgrund unseres Gesundheitswesens, aufgrund der guten Situation, in der wir uns befinden, ist es uns auch möglich, zu helfen. Es konnten viele Patienten aus Nachbarländern in Deutschland behandelt, auf der Intensivstation beatmet werden. Es ist aus meiner Sicht selbstverständlich, dass wir hierfür auch die Kosten übernehmen, dass wir natürlich solidarisch sind. Diese Selbstverständlichkeit setzen wir mit diesem Gesetz um: Der Bund übernimmt in dieser konkreten Lage die Kosten für die Behandlung von Patienten aus dem Ausland mit Covid-19. Ich finde, das ist auch ein wichtiges Signal europäischer Solidarität in dieser Zeit.
Deswegen beginnen jetzt die Beratungen zu diesem Gesetz.
Abschließend noch mal grundsätzlich. Debatten wie die, die vorher geführt wurde, und die, die wir jetzt führen, sind wichtig. Wir können sie auch kontrovers führen; denn es geht ja um was. Es geht um was im Grundsätzlichen. Ja, es sind die größten Freiheitseinschränkungen in der Geschichte der Bundesrepublik, die notwendig waren und die auch eine hohe Akzeptanz erfahren haben. Aber es geht natürlich auch immer um die richtige Balance von öffentlichem Leben, Gesundheitsschutz, Wirtschaft, den Interessen des Einzelnen und den Interessen der Gesellschaft, der Mitbürger. Und es geht am Ende um Konkretes wie in diesem Gesetzentwurf. All das verdient und braucht eine grundsätzliche und, ja, auch eine kontroverse Debatte; die gehört natürlich dazu.
Ich finde nur wichtig, dass wir diese Debatten auch in ihren Unterschieden - denn die spüren wir ja alle - so führen, dass wir dabei versuchen, einen Kompromiss zu finden. „
Vizepräsidentin Claudia Roth:
Herr Spahn, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Manuela Rottmann, Bündnis 90 die Grünen?
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn:
Klar, gerne.
Vizepräsidentin Claudia Roth:
Frau Rottmann, bitte.
Dr. Manuela Rottmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Bundesminister, vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. - Sie haben erfreulicherweise gesagt: Wir brauchen Debatten. - Warum schaffen wir es dann nicht, über die Erweiterung der Befugnisse des Bundesgesundheitsministers eine gemeinsame Anhörung des Rechtsausschusses und des Gesundheitsausschusses zu veranstalten, um die staatsrechtlichen Fragen, die davon betroffen sind, die vielen verfassungsrechtlichen Einwände, die es dagegen gibt, offen zu diskutieren?
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn:
Frau Kollegin, da ich gerade als Mitglied der Bundesregierung spreche, möchte ich mich nicht in die interne Organisation des Parlamentes und die Frage, wie die Anhörungen stattfinden, einmischen. Gleichwohl habe ich, wenn ich die öffentliche Debatte und auch die Debatte hier im Parlament betrachte, den Eindruck, dass alle Aspekte zur Sprache kommen. Ich finde, wir sollten aufhören, überall den Eindruck zu erwecken, man könnte bestimmte Dinge hier nicht sagen oder bestimmte Punkte hier nicht anbringen.
Alles kann überall gesagt und angesprochen werden, und jeder Aspekt wird in der Debatte berücksichtigt.
Das bringt mich noch einmal zu dem, was ich gerade versuchte grundsätzlich zu sagen: Es braucht nach meiner festen Überzeugung die auch kontrovers, kritische Debatte, weil es um viel geht. Die Frage ist nur, wie wir diese führen. Führen wir sie mit dem Ziel, die richtige Balance, den Ausgleich zu finden, den Kompromiss möglich zu machen und vor allem durch die gut geführte Debatte zusammenzubleiben? Oder führen wir sie mit dem Ziel - wie wir es in den letzten Tagen auch wieder erleben mussten -, zu spalten und zu polarisieren? Das ist die entscheidende Frage in einer solchen Debatte.
Wir haben in den letzten Wochen wieder ein Wirgefühl und eine Gemeinsamkeit in der Gesellschaft erlebt, die vorher über viele Monate angesichts von viel Aggressivität und Wut gar nicht mehr zu spüren waren. Wir haben zu Beginn dieser Pandemie gemerkt, was alles in diesem Land steckt, wie bereit wir sind, miteinander solidarisch zu sein und gemeinsam zu agieren.
Eines wünsche ich mir bei der Debatte zu diesem Gesetz wie bei allen Debatten, die im Grundsätzlichen und im Konkreten wichtig sind: dass wir diskutieren, dass wir mit Leidenschaft diskutieren, dass wir auch kontrovers diskutieren, dass wir das aber immer mit dem Ziel tun, zusammenzubleiben - wir als Gesellschaft, wir als Nation -, um am Ende eben zu guten Ergebnissen, guten Entschlüssen und vor allem zu viel Gemeinschaft in dieser Krise zu kommen.
Autor: md / © EU-Schwerbehinderung