VdK erkämpft Cannabis-Therapie
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Der Sozialverband VdK Saarland hat im Geschäftsjahr 2020 für seine Mitglieder drei Millionen Euro an Nachzahlungen und Rentenansprüchen erstritten. Für VdK-Mitglied Hildtraud Tappert setzte der Sozialverband in einem Klageverfahren vor dem Sozialgericht eine Cannabis-Therapie durch. Die 4215 abgeschlossenen sozialrechtlichen Verfahren umfassen Anträge, Widersprüche, Klagen und Berufungen gegenüber Kostenträgern nach dem Sozialrecht.
Wegen der Pandemie gab es einen erhöhten Beratungsbedarf: Die zehn hauptamtlichen VdK-Juristen führten mehr als 12.000 Beratungsgespräche, die ab April telefonisch stattfanden. „Dank unserer modernen und professionellen IT-Struktur war es uns möglich, praktisch von einem auf den anderen Tag auf Telefontermine umzustellen und unsere wichtige Arbeit für die Mitglieder nahtlos fortzuführen. Dieses Angebot wurde sehr gut angenommen, so dass sich die Pandemie nur geringfügig auf die Verfahrenszahlen auswirkte. Im Gegensatz zu manch anderen Behörden war unser Verband auch auf dem Höhepunkt der Pandemie für seine Mitglieder wie gewohnt erreichbar“, sagte VdK-Landesgeschäftsführer Peter Springborn.
Auch das ehrenamtliche Beratungsangebot konnte nach kurzer Pause telefonisch fortgeführt werden. „Dieses Engagement ist für unsere Verbandsarbeit unverzichtbar. Für die Flexibilität der ehrenamtlichen Mitarbeiter in diesen außergewöhnlichen Zeiten sind wir sehr dankbar“, ergänzte Springborn. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter arbeiten Hand in Hand mit den Juristen und unterstützen Mitglieder zum Beispiel bei Anträgen auf Schwerbehinderung oder Erwerbsminderung.
Die meisten Fälle lagen auch 2020 im Bereich Schwerbehinderung und der gesetzlichen Rentenversicherung, gefolgt von Krankenversicherung, Pflegeversicherung sowie gesetzlicher Unfallversicherung. „Auffällig ist hier ein zunehmender Beratungsbedarf bei Leistungen der Pflegeversicherung. Wir vermuten, dass hier die telefonischen Begutachtungen durch den medizinischen Dienst eine Rolle spielen, da es am Telefon oft schwieriger ist, gesundheitliche Einschränkungen zu vermitteln“, ergänzte Sandra Metzen, Teamleiterin der Sozialrechtsberater.
Die VdK-Juristen halfen Mitgliedern zum Beispiel, wenn ein Grad der Behinderung (GdB) nicht anerkannt, ein medizinisches Hilfsmittel nicht gewährt oder ein Antrag auf Rehabilitation abgelehnt wurde. Neben geldwerten Leistungen erstreitet der VdK auch Nachteilsausgleiche wie etwa die Gewährung eines Parkausweises für außergewöhnlich Gehbehinderte. Die Nachzahlungen umfassen zum Beispiel Krankengeld, Erwerbsminderungsrente oder Witwen- und Waisenrente.
Fallbeispiel: VdK erkämpft Cannabis-Therapie
Zu ihrem Recht verholfen hat der Sozialverband unter anderem Hildtraud Tappert. Die 77-Jährige hat die Lungenkrankheit COPD und ist auf ständige Sauerstoffzufuhr angewiesen. Zudem leidet sie an chronischen Schmerzen und einer ausgeprägten Appetitlosigkeit, so dass sie sich regelrecht zum Essen zwingen musste. Die Situation spitzte sich nach einer Lungenentzündung im Jahr 2018 zu – damals wog sie bei einer Körpergröße von 1,54 Meter nur noch 40 Kilogramm. In der Klinik wurden ihr deshalb cannabinoidhaltige Tropfen gegeben, die ihren Appetit sofort ankurbelten. „Ich habe damals schrecklich ausgesehen. Durch die Tropfen verspürte ich plötzlich Heißhunger und aß sogar zwei Brötchen. So habe ich innerhalb kurzer Zeit fünf Kilo zugenommen“, erinnert sich Tappert.
Doch dieser Erfolg ist nur von kurzer Dauer, denn im Anschluss weigerte sich die Krankenkasse, das Rezept zu genehmigen. Sie verweist auf andere Medikamente, die gegen Übelkeit helfen, welche bei Tappert aber nicht vorliegt. Zum Hintergrund: Patienten mit einer schwerwiegenden Erkrankung haben seit März 2017 Anspruch auf eine Cannabis-Therapie. Voraussetzung ist, dass keine anderen anerkannten Therapien zur Verfügung stehen oder angewendet werden können sowie eine Aussicht auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.
Auch der Widerspruch durch den VdK wurde zunächst zurückgewiesen. Im Klageverfahren ist der Sozialverband erfolgreich: Das vom Sozialgericht beauftragte Gutachten bestätigte nach Aktenlage, dass die Behandlung mit Dronabinol zu einer „erfreulichen Gewichtszunahme und damit auch zu einem verbesserten Wohlbefinden“ sowie einer Reduzierung von Opioid-haltigen Schmerzmitteln führt. Demnach sind „spürbar positive Effekte auf den Krankheitsverlauf sehr wahrscheinlich“.
„Es ist traurig, dass ein Mensch mehrere Jahre um ein Medikament kämpfen muss, das seinen Zustand so spürbar verbessert. Leider haben wir solche Fälle häufiger. Diese ablehnende Haltung gegenüber Cannabis-Medikamenten hat bei den Krankenkassen System, die Vorbehalte sind aus unserer Sicht zumeist nicht nachvollziehbar. Würden die Kassen schneller genehmigen, könnte den Betroffenen viel unnötiges Leid erspart werden“, sagt VdK-Sozialrechtsberater Stefan Geisler.
Nach Angaben des GKV-Spitzenverbandes werden rund 60 Prozent der Anträge auf ein Cannabis-Medikament von den gesetzlichen Krankenkassen genehmigt, bundesweit waren dies laut eines GKV-Berichts 2020 rund 340.000 Verordnungen mit Gesamtkosten von 165 Millionen Euro, Tendenz steigend. Die hohen Kosten könnten ein Grund für die ablehnende Haltung sein: Ein Gramm Cannabisblüten kostet laut Techniker Krankenkasse rund 22 Euro, eine Cannabis-Therapie demnach bis zu 2.200 Euro pro Monat. Bei der Fertigarznei Dronabinol liegen die Kosten laut TK zwischen 70 und 500 Euro, im Fall von Hildtraud Tappert bei etwa 1200 Euro im Jahr.
Die 77-Jährige ist dem VdK dankbar und empfiehlt ihn weiter. „Ich habe Hurra geschrien und gestrahlt. Endlich kann ich wieder halbwegs normal essen und mein Gewicht halten. Ich kann nur jedem raten, nicht aufzugeben und am Ball zu bleiben, auch wenn es Jahre dauert“, sagt Tappert.
Autor: VDK Presse und Öffentlichkeitsarbeit / © EU-Schwerbehinderung