Benjamin Piwko im Gespräch mit equalizent "Liebe ist barrierefrei"
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Der gehörlose Schauspieler, Kampfsportler und Tänzer Benjamin Piwko ist ein Multi-Talent. Trotz seiner Gehörlosigkeit hat er im Leben viel erreicht und ist heute nicht nur erfolgreich, sondern hat mit Schauspielerin Felicitas Woll auch sein Liebesglück gefunden. Im Interview mit equalizent erzählt er von seinem Werdegang, den Höhen und Tiefen seines Lebens und das Liebe für ihn barrierefrei ist.
Kampfsportler, Tänzer, Schauspieler – wenn man sich Ihre Erfolge anschaut, dann wird klar, man kann alles schaffen, wenn man es nur will. Wie haben Sie es so weit gebracht?
Erstmal sollte man ein klares Ziel oder eine Vision vor Augen haben. Und dann braucht man viel Willenskraft und viel Geduld, um es zu erreichen. So war es zumindest bei mir. Der Weg zu einem Ziel ist ja nie gerade. Es geht mal rechts rum, mal links rum, man muss viele Kurven nehmen und darf das Ziel dabei nicht aus den Augen verlieren. Der Sport hat mir sehr geholfen und sehr viel Stärke gegeben, aber auch innere Ruhe. Dadurch habe ich es geschafft mich immer wieder auf mein Ziel zu fokussieren. Und natürlich einfach machen.
Schule und Ausbildung ist für viele Gehörlose nicht einfach, weil die Bildungsangebote nicht ideal sind. Wie war das bei Ihnen?
Ich hatte nur wenig Auswahl im Bildungsbereich. Vor und mehr als 20 Jahren war Amerika schon viel weiter mit den Möglichkeiten als Deutschland. Ich denke, das ist heute besser. Dennoch sollte Deutschland die Möglichkeiten für Bildung mit Gebärdensprache weiter ausbauen.
Was war das Wichtigste, was Sie auf Ihrem Weg gelernt haben?
Für mich war es das Wichtigste mehr Erfahrungen zu sammeln, ins Ausland zu gehen, einfach meinen Horizont zu erweitern. Zu sehen, dass es unterschiedliche Möglichkeiten gibt, wie andere Kulturen und Ländern funktionieren, viel Austausch mit anderen zu haben, viele Kontakte zu knüpfen und stets offen für Neues zu bleiben, das ist und war für mich der richtige Weg. Immer nur in seiner kleinen Welt zu bleiben, und zu denken: Das ist es, das begrenzt die eigenen Möglichkeiten stark. Man muss Neues wahrnehmen und die Perspektiven wechseln. Es ist nicht meine Haltung zu sagen: Das geht nicht. Es kommt immer wieder ein neuer Tag, an dem man es versuchen kann. Es kommt auch nicht darauf an keine Fehler zu machen. Man sollte nur aus ihnen lernen.
Was würden Sie sagen, war ihr größter Fehler?
Manchmal war ich zu schnell. Daraus habe ich gelernt, dass ich viel geduldiger sein muss. Man muss sich auf Dinge fokussieren können. Allerdings ist es auch wichtig Dinge parallel auszuprobieren, oder besser gesagt, zu akzeptieren, wenn sie gleichzeitig in das Leben treten. Man muss sich nicht immer für eins entscheiden. Manche Entwicklungen laufen parallel bis man das Ziel erreicht hat. Ich bin sehr kreativ und habe viele Ideen. Ich verfolge sie parallel, oder mache mir bewusst, dass ich Dinge auch später starten kann. Ich muss mich nicht für oder dagegen entscheiden. Ich tendiere dazu perfekt sein zu wollen, aber niemand ist perfekt, jeder macht Fehler – wenn man sich das vor Augen führt, muss man keine Angst mehr vor dem Scheitern haben. Es ist auch Quatsch alles auf einmal zu erreichen. Man muss den Mut haben sich das einzugestehen.
Warum gibt es immer noch so eine große Hürde zwischen Hörenden und Gehörlosen?
Das liegt meiner Meinung nach daran, dass wir in unterschiedlichen Welten leben. Ich würde mir eine Schule wünschen, in der der viele verschiedene Kinder zusammen sind und sich kennenlernen können. Hörende mit Gehörlosen. Hörende mit Gehörlosen zum Beispiel, aber auch mit Kindern im Rollstuhl und blinden Kindern. Wenn man das von Anfang an macht, bricht man die Gruppen auf und nimmt allen Seiten die Berührungsängste. Die neue Generation sollte mehr inklusiv groß werden. Für mich ist Integration sehr wichtig. Menschen müssen sich kennenlernen.
Als hörende Person kann ich jederzeit zu vielen Bildungsanbietern gehen und viele unterschiedliche Dinge lernen. Wie ist das als taube Person?
Das Bildungsangebot für Taube ist sehr gering, im gebärdensprachlichen Bereich, aber auch in leichter Sprache. Auch schon für Kinder. Da muss sich etwas ändern. Gehörlose sind auch häufig nicht so gut in der Lesekompetenz. Das kann man damit vergleichen, wenn man für spanisch sprechende Menschen Bildungstexte auf kompliziertem Deutsch anbietet. Es fehlt die Möglichkeit, einfach Bildungsprogramme wahrzunehmen, mit Gebärdensprache, mit Videos, mit Dolmetschern. Ich nutze auch häufig die Hilfe von Dolmetschern, allein schon um irgendwo anzurufen und mich zu informieren. Auch das sind Hürden für Gehörlose. Gehörlose brauchen meist keine besonderen Hilfsmittel, sondern nur Gebärdensprache, so wie Hörende Lautsprache haben. Das wichtigste ist also erstmal gebärdensprachlicher Zugang zu Bildung und Informationen. Mir fällt immer auf, dass Gehörlose mehr Arbeit, mehr Mühe haben um an vieles zu kommen. Da wird eine Abhängigkeit geschaffen, zum Beispiel zu Dolmetschern, die unnötig ist. Das nervt mich tatsächlich richtig.
Was sagen Sie zum Bildungsangebot von equalizent?
Ich habe mir die Website angeguckt und es klingt toll. Eine Bildungsmöglichkeit auf Augenhöhe und eine Unterstützung für alle. Für hörende und gehörlose TeilnehmerInnen. Gefällt mir gut.
equalizent bietet Weiterbildung für erwachsene Gehörlose. Bei equalizent ist die Schulungssprache immer die nationale Gebärdensprache. Alle Lehrenden, egal ob taube oder hörende, können Gebärdensprache. Beim Team Teaching sind beide im Schulungsraum. Es ist also die Perspektive von Gehörlosen und Hörenden vertreten. Wie finden Sie so einen Ansatz für Bildung für Gehörlose?
Das finde ich super. Dadurch ist auch ein Austausch möglich. Wenn Hörende wie selbstverständlich gebärden und Gebärdensprache lernen, dann ist das gut. Und für Gehörlose ist der Kontakt zu Hörenden auch wichtig um ihre Perspektive kennenzulernen. Das erweitert für alle die Kommunikation und lässt die beiden Welten, die der Gehörlosen und der Hörenden, immer weiter verschmelzen. Wir sind alle Menschen und wenn equalizent hilft, dass Menschen zusammen arbeiten können ohne Hürden, obwohl sie unterschiedlich sind, dann ist das wunderbar.
Im Juni hat das erste Kompetenzzentrum von equalizent in Hamburg aufgemacht. Das ist Deine Heimatstadt. Wie findest Du das?
Schön, dass die Bildungsangebote in Deutschland durch equalizent erweitert werden und auch toll, dass equalizent in Hamburg anfängt. Vielleicht kommt hier ein Stein ins Rollen und verbessert die Möglichkeiten für Gehörlose langfristig. Wenn sich das überall in Deutschland ansiedeln würde, wäre das gut. Erweiterte Bildungsangebote sind Freiheit. Die Sozialen Medien haben hier auch schon viel geholfen. Zum Beispiel gibt es, mehr Untertitel. Aber es muss noch mehr passieren. Für mich verdeutlicht das Bild vom Bestellen eines Hamburgers deutlich, wo etwas geändert werden muss. Ich bestelle einen Hamburger, aber die Kommunikation reicht nicht aus, um eine Soße zu bestimmen oder andere Extras auszuwählen. Da fängt für Gehörlose die Schwierigkeit schon an.
Sie haben sich in der Welt der Hörenden immer zurechtgefunden. Wie kam das und was würden Sie anderen tauben Menschen raten?
Ich bin schon mein Leben lang auch in der Hörenden Welt unterwegs. Ich denke, weil ich auch den Austausch brauche. Viele denken ja, dass für Gehörlose zum Beispiel Musik unwichtig ist. Aber das stimmt nicht. Es ist unterschiedlich. Ich bin ohne Musik groß geworden, fand es aber total spannend mich da reinzufuchsen. Es gibt immer die Möglichkeit sich zu öffnen. Und wie man bei Let´s Dance sehen konnte, habe ich den dritten Platz gemacht, und das, obwohl ich nichts gehört habe. Ich bin einfach den Bewegungen und dem Ausdruck gefolgt. Ich habe meine Möglichkeiten also komplett ausgeschöpft und es hat Spaß gemacht.
Sie haben das Herz einer hörenden Frau erobert. Überwindet Liebe alles?
Ja, Liebe ist für mich barrierefrei.
Wie war das für ihre Mutter, als sie plötzlich ertaubten?
Wenn ein gehörloses Kind geboren wird, oder es später, wie ich gehörlos wird, dann muss man ja keinen Schock bekommen. Das Kind ist ja prinzipiell gesund. Es kann zwar keine Musik hören, aber es kann bei Let´s Dance tanzen. Es wird seinen Weg gehen. Man darf keine Erwartungshaltung haben, man muss sich freuen, über das, was ist.
Du bist dann in der Schweiz auf eine Schule gegangen?
Ja. Meine Mutter wollte, dass ich gute Chancen habe für meine Zukunft. Daher hat sie diese Schule für mich ausgesucht und ist mit mir dahin gezogen. Zu der Zeit damals gab es auch noch wenige Informationen. Und in der Schweiz gab es eben diese Sprachtherapeutin, die sich darauf spezialisiert hat, gehörlosen Kindern das Sprechen mit der Stimme beizubringen. Meine Mutter hatte ja auch keine Ahnung, was für mich der richtige Weg ist. Die Lehrerin in der Schweiz hat Gebärdensprache verboten, sie wollte auch nicht, dass wir mit anderen gehörlosen Kindern Kontakt haben. Ich hatte ja keine Idee, wie man Sprache erlernt, die Hände durfte ich nicht benutzen und daher habe ich die Form von Sprachtherapie, die ich da erfahren habe, als ganz viel Druck empfunden. Ich war damals erst zwei Jahre alt und saß vor Kameras und Experten und musste Lautsprache erlernen – das war sehr grausam. Man muss sich das vom Anstrengungsgrad her so vorstellen, als wenn einem deutschsprachigen Kind Physik und Mathe etc. auf Chinesisch beigebracht wird. Ich wollte spielen und mich bewegen, frei sein und mit anderen Kindern in Kontakt treten und durfte es nicht. Das war für mich eine harte Zeit. Ok, ich kann jetzt sprechen und vom Mund absehen, dafür kann ich dankbar sein, aber Missverständnisse erspart es mir nicht. Ob das den Stress wert war, weiß ich aber nicht. Gebärdensprache ist für mich schnell und praktisch. Da fühle ich mich freier drin und kann mich besser ausdrücken. Ich habe erst mit 14 Jahren angefangen Gebärdensprache zu erlernen. Aber das ist die Sprache, die viel Kraft und Mühe spart, und das ist die Sprache, mit der ich mich frei fühle.
Wie erziehen sie mit all ihren Erfahrungen heute ihre Tochter?
Meine Tochter ist hörend und wächst wie viele Kinder zweisprachig auf. Also sie gebärdet, sie spricht, wie sie gerade möchte. Ich finde, das ist ein großes Geschenk.
Fühlen Sie sich als Vorbild?
Es sagen viele, aber der Weg war auch wirklich hart.
Autor: kk / © EU-Schwerbehinderung
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