IPReG: Weiter Proteste, VdK und Parteien drohen mit Verfassungsklage
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Am Donnerstag wird der Bundestag in der zweiten und dritten Lesung über das Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz beraten und abstimmen. Ob das Gesetz jedoch durchkommen wird, ist fragwürdig, denn seitens der Oppositionsparteien ist mit der Ablehnung zu rechnen und selbst innerhalb der Koalition gibt es stark geteilte Meinungen. Erst heute fand vor dem Brandenburger Tor eine erneute Protestaktion statt (siehe Videobeitrag am Ende des Beitrags), an der Politiker*In der Opposition und Koalition teilgenommen haben. Dabei wurde deutlich, das Jens Spahn mit seinem Gesetzesentwurf damit rechnen muss, sollte dieser am Donnerstag im Bundestag mehrheitlich angenommen werden, dass neben dem VdK auch andere Parteien vor das Bundesverfassungsgericht gehen könnten.
"Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf können Beatmungspatient*innen, die bisher selbstbestimmt im eigenen Zuhause leben, zu einem Umzug in ein Pflegeheim gezwungen werden. Zwar gab sich Jens Spahn nach den ersten Protesten im vergangenen Jahr zunächst gesprächsbereit, doch unterm Strich wurde der Gesetzentwurf bislang nicht wirklich verbessert. Spahn hat die entscheidenden Forderungen und Änderungsvorschläge der Aktivist*innen bis heute konsequent ignoriert. Stattdessen peitscht er seinen Gesetzentwurf während der Corona-Pandemie im Eiltempo durch, während die Betroffenen in der Selbstisolation zuhause sitzen müssen und nicht einmal öffentlich wahrnehmbar protestieren können.", erklärt Corinna Rüffer, behindertenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen.
„Die Zusammenarbeit von FDP, Grünen und Linken zeigt, dass es hier nicht um Parteipolitik, sondern um Menschenrechte für Menschen mit Behinderung geht. Es darf niemand dazu gezwungen werden, sein Zuhause zu verlassen, erst recht nicht aus rein finanziellen Gründen“, sagt VdK-Präsidentin Verena Bentele. Menschen müssen ein Wunsch- und Wahlrecht darüber haben, wo sie leben wollen. „Sollten SPD und CDU nicht zustimmen, werden wir Verfassungsbeschwerde erheben,“ so Bentele.
Bentele weiter: „Wie wir wissen, haben die Krankenkassen im Rahmen der intensivpflegerischen Versorgung ein hohes fiskalisches Interesse an der kostengünstigeren Versorgung im stationären Bereich. Deshalb würde das Schlimmste eintreten“, so die VdK-Präsidentin. "Selbstbestimmung und Teilhabe von betroffenen Menschen dürfen nicht unter die Räder kommen! Wir hoffen, dass SPD und CDU im Bundestag über ihren Schatten springen und diesem Antrag zustimmen."
Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Jürgen Dusel, hatte gegenüber EU-Schwerbehinderung geäußert, dass nach seiner Meinung, der Gesetzesentwurfes, gegen die UN-Behindertenrechtskonvention verstößt (wir berichteten).
Der Verein ALS-mobil e.V. macht auf seiner Internetseite deutlich:
Für die Pflegerische Grundversorgung stehen dann z.B. bei Pflegegrad 5 nur noch ca. 2000,- € in Form von Pflegesachleistungen der Pflegeversicherung zur Verfügung. Benötigt werden dann aber bis zu 8000 Euro monatlich. Da ein Großteil der Betroffenen, jedoch am Existenzminimum lebt und des Sozialamt nicht einspringen wird, werden die Betroffenen genötigt nach unserer Auffassung und der Auffassung von Experten (!) in eine Vollstationäre Einrichtung zu gehen, weil dort die Pflege von der Pflegeversicherung vollständig übernommen werden soll. (Sollten wir uns irren – streicht doch einfach dieses eine Wort “medizinisch”!)
Gegenwärtig gibt es circa zwanzigtausend ambulante Beatmungspatienten. Ein Drittel dieser Personen, kann nicht von der Maschine entwöhnt werden. Ich denke, fast alle dieser Menschen, die nicht entwöhnt werden können und zu Hause leben, lehnen eine stationäre Unterbringung ab und möchten weiterhin zu Hause versorgt werden. Wenn per Gesetz festgelegt wird, dass eine Pflege von Schwerstkranken in den eigenen vier Wänden nicht mehr möglich sein soll, so ist das ein gravierender Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht. Uns soll das Recht auf Teilhabe am gesellschaftlichen und sozialen Leben genommen werden. Wir Betroffenen wollen zu Hause, in unserer gewohnten Umgebung bleiben.
Es sollte niemals über die Köpfe von Betroffenen hinweg, entschieden werden, schon gar nicht, wenn es um Rahmenbedingungen unseres zukünftigen Lebens geht.
Vor gut 2 Jahren hat der Gesundheitsminister 13000 neue Pflegestellen versprochen. Woher will er das Personal dafür nehmen? Hier sehen wir einen eindeutigen Zusammenhang, mit dem Gesetzentwurf. Die häusliche Intensivpflege soll abgeschafft werden, und das frei werdende Personal soll in stationären Einrichtungen beschäftigt werden. Alle Pflegekräfte, aus diesem Bereich, mit denen wir bisher gesprochen habe, können sich einen solchen Wechsel nicht vorstellen. Sie hatten alle ihre (wenn auch unterschiedlichen) Gründe, in die ambulante Pflege zu wechseln.
Sollte der Fachkräftewechsel von der häuslichen Versorgung in stationäre Einrichtungen, wirklich der Grund dafür sein, die Intensivpflege derartig zu verändern, dann hat da jemand „die Rechnung ohne den Wirt“ gemacht. Diese Allokation wird nicht funktionieren. Der Großteil der Fachkräfte hat sich bewusst gegen eine Tätigkeit in vollstationären Strukturen entschieden, und wird nicht wieder dorthin zurück wechseln. Diese Pflegefachkräfte werden der Pflege den Rücken zu drehen und sich andere Beschäftigungsverhältnisse suchen und der Fachkräftemangel wird sich eher noch verstärken, als verringern.
Auf eine Interviewanfrage an das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) antwortete dieses schriftlich: Die Leistungen der außerklinischen Intensivpflege sollen neu strukturiert und ihre Qualität verbessert werden. Angesichts des Fachkräftemangels in der Pflege verfolgt der Entwurf auch das Ziel, die vorhandenen Pflegekräfte in der Versorgung sachgerechter einzusetzen. Die Versorgung der Patientinnen und Patienten soll verbessert und Fehlanreize vermieden werden. Vor allem geht es darum, solchen Missbrauchsmöglichkeiten entgegen zu wirken, denen bisher gerade besonders schutzbedürftige Menschen zum Opfer fallen.
Das Wahlrecht der Patientinnen und Patienten, an welchem Ort die außerklinische Intensivpflege stattfindet, bleibt auch in Zukunft erhalten. Auch in der eigenen Häuslichkeit können Leistungen der außerklinischen Intensivpflege weiterhin erbracht werden. Außerdem werden die Eigenanteile, die Versicherte bei außerklinischer Intensivpflege in einer stationären Pflegeeinrichtung leisten müssen, erheblich reduziert. Die Beatmungsentwöhnung in der akutstationären Krankenhausversorgung wird gestärkt, so dass niemand länger als nötig von einem Beatmungsgerät abhängig ist.
Leistungsvoraussetzung ist an allen Leistungsorten der außerklinischen Intensivpflege, dass die medizinische und pflegerische Versorgung tatsächlich und dauerhaft sichergestellt werden kann. Dies wird jährlich - bei Bedarf auch häufiger - durch den Medizinischen Dienst vor Ort geprüft. Wird dem medizinischen Dienst der Zutritt in die eigene Häuslichkeit nicht gewährt, kann nicht festgestellt werden, ob eine ausreichende medizinische Versorgung gewährleistet ist. Versorgungsmängel in der außerklinischen Intensivpflege können zu schweren - auch lebensbedrohlichen - Konsequenzen für die Versicherten führen. Deshalb ist die außerklinische Intensivpflege bei einer Verweigerung des Zutritts in die eigene Häuslichkeit nur in vollstationären Pflegeeinrichtungen oder in Einrichtungen der Behindertenhilfe möglich, wo Vorschriften des Heimrechts bzw. sonstige Qualitätssicherungsmaßnahmen ein Mindestmaß an Versorgungsqualität gewährleisten können.
Aus der Pressekonferenz der Bundesregierung wurde auf die Antwort einer Frage deutlich, dass die Bundesregierung an ihrer grundsätzlichen Haltung festhält.
Frage: Diesen Donnerstag plant die Bundesregierung das umstrittene Gesetz zur Neuregelung der Intensivpflege durch den Bundestag zu bringen. Sozialverbände machen massiv mobil. Zum Beispiel kündigt der Sozialverband VdK auch eine Verfassungsbeschwerde an. Andere Sachverständige verweisen darauf, dass das Gesetz einen Bruch mit der UN-Behindertenrechtskonvention und auch mit dem Selbstbestimmungsrecht des Grundgesetzes darstellt. Mich würde interessieren: Teilt die Kanzlerin denn diese Sorge, dass diese Gesetzesnovelle entgegen dem im Grundgesetz verankerten Selbstbestimmungsrecht agiert?
Staatssekretär Seibert: Wenn die Bundesregierung Gesetze in den Bundestag zur parlamentarischen Beratung einbringt, tut sie das selbstverständlich immer in der Überzeugung, rechtskonforme Sachverhalte vorzulegen.
Ich hatte aber angeführt, dass es bedeutende Sozialverbände gibt, die planen, Verfassungsbeschwerde einzulegen, und die darauf verweisen, dass es diese Gesetzesnovelle ermöglichen würde, dass Krankenkassen in der Lage sind, Patienten von der Hauspflege in die Heimpflege zu zwingen. Wie bewertet die Kanzlerin das?
Antwort: Ich bleibe bei meiner grundsätzlichen Aussage, dass die Bundesregierung rechtskonforme Gesetze im Kabinett beschließt und anschließend dem Bundestag zuleitet.
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Autor: kk / © EU-Schwerbehinderung