Bundestag debattiert über Verfassungswidrigkeit des Nachtragshaushalts
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Der Bundestag hat heute, am 16. November 2023, intensiv über die jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Nachtragshaushalt 2021 debattiert. Der Fraktionsvorsitzende der Union, Friedrich Merz, betonte, dass das Bundesverfassungsgericht innerhalb weniger Wochen zum zweiten Mal festgestellt habe, dass die Regierungsfraktionen gegen das Grundgesetz verstoßen hätten. Kurz vor den Sommerferien mussten sie die Abstimmung über das sogenannte Heizungsgesetz verschieben, da sie den Abgeordneten des deutschen Bundestages verfassungswidrig die Mitspracherechte vorenthalten hatten, und dieser Zustand bestehe weiterhin. Gestern wurde bestätigt, dass sie im letzten Jahr einen Nachtragshaushalt für das Jahr 2021 aufgestellt hatten, der vom Verfassungsgericht nicht nur als verfassungswidrig, sondern als nichtig und somit von Anfang an unwirksam angesehen wurde. Beide Entscheidungen offenbaren das Verständnis der Regierungsfraktionen, dass sie im Grunde genommen mit ihrer Mehrheit im deutschen Bundestag über alle Regeln, die Regeln parlamentarischer Praxis und jetzt auch über die Regeln der Schuldenbremse einfach hinwegsetzen. Alle Einwände gegen ihre Politik werden einfach beiseite gewischt.
Achim Post von der SPD äußerte sich zunächst zum Kern des Urteils: Das Verfassungsgericht habe gestern ein grundlegendes Urteil zum Klima- und Transformationsfonds gefällt, und die Bundesregierung habe klar erklärt, dass sie dieses Urteil beachten und umsetzen werde. Das gelte auch für die SPD-Bundestagsfraktion. Daher sei er Bundeskanzler Olaf Scholz, Finanzminister Lindner und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ausdrücklich dankbar dafür, dass sie gestern besonnen und klar auf das Urteil reagiert hätten. Das sei genau die richtige Haltung, das sei genau das Richtige, und das habe die volle Unterstützung seiner Fraktion, so Post.
Peter Boehringer von der AfD sagte, das Bundesverfassungsgericht habe ein nicht wirklich überraschendes Urteil gefällt. Der allererste Nachtragshaushalt von 2021 wurde für verfassungswidrig erklärt und somit nichtig. Er verwies bezüglich der 60 Milliarden zusätzlichen Verschuldung, die sie 2022 im Nachtragshaushalt für das Jahr 2021 durchgesetzt hatten, auf ihren damaligen Entschließungsantrag 20488. Man habe nicht nur das Urteil vorhergesehen, sondern sogar exakt die drei Begründungsteile von Karlsruhe, nicht weil sie eine Kristallkugel gehabt hätten oder herausragende Juristen, sondern weil die Rechtslage schon damals klar war.
Andreas Audretsch von den Grünen betonte, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts sei klar, genauso klar seien die Anpassungen, die sie jetzt in der Haushaltspolitik vornehmen. Der Finanzminister habe die notwendigen Maßnahmen ergriffen, 60 Milliarden Euro stünden im Klima- und Transformationsfonds nicht mehr zur Verfügung, das sei konsequent und richtig so. Gleichzeitig sorge man parallel dafür, dass die Haushaltsberatungen im deutschen Bundestag seriös und verantwortungsvoll abgeschlossen werden. Das sei Verantwortung in dieser Zeit, und diese Verantwortung übernehme man als Ampelkoalition.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) betonte, dass das Bundesverfassungsgericht sich erstmals zu Ausnahmen für die Schuldenbremse, auch im Zusammenhang mit Sondervermögen, geäußert habe. Davor habe es unterschiedliche Einschätzungen und Interpretationen gegeben. Bis heute werde mit der Schuldenbremse in den Ländern unterschiedlich gearbeitet, die heutige Praxis unterscheide sich. Das Bundesverfassungsgericht habe nun neue Klarheit geschaffen, und alle Unterstützer und Unterstützerinnen der Schuldenbremse müssten dies begrüßen. Die Bundesregierung habe sich stets zur Schuldenbremse bekannt, für manche sogar zu sehr. Mit dem zweiten Nachtragshaushalt 2021 habe man die Absicht gehabt, die nicht genutzte Kreditermächtigung einzusetzen, um die pandemiebedingt ausgefallenen Investitionen nachzuholen.
Alexander Dobrindt von der Union betonte, dass das Verfassungsgericht Klarheit schaffen würde, vor allem Klarheit über ihre Ampelkoalition. Es schaffe Klarheit darüber, dass sie keinen Respekt gegenüber Verfassungsregeln im Parlament und gegenüber den Menschen in diesem Land hätten. Dafür erhielt Miersch Applaus aus dem Plenum. Es schaffe Klarheit darüber, dass sie keinen Plan hätten, wie man das Land regiere, und es schaffe Klarheit darüber, dass sie kein Geld mehr hätten, um ihre ideologischen Projekte zu finanzieren. Diese Klarheit schaffe das Verfassungsgericht, und dann verkündeten sie, die Regierung wolle die Schuldenbremse nicht schwächen, sondern stärken. Er wies darauf hin, dass sich bei diesem Satz keine einzige Hand bei SPD und Grünen gerührt habe. Sei er eigentlich noch der Finanzminister dieser Ampel oder Minderheitsminister in dieser Ampelregierung? Man könne diese Entscheidung als historisch bezeichnen. Das sei nicht der Ausdruck von Gestaltungswillen, sondern das sei, was sie mit Mehrheit umsetzen, ein Betrug an der Schuldenbremse, so Miersch.
Dr. Matthias Miersch von der SPD erklärte, die Situation sei zu ernst, um in solchen Situationen übereinander herzufallen. Wenn sie von linken grünen Wunschprojekten sprechen, seien Milliardeninvestitionen in die Deutsche Bahn rot-grüne Wunschprojekte? Seien Milliardeninvestitionen in die Gebäudesanierung rot-grüne Wunschprojekte? Ist das Investieren in erneuerbare Energien ein rot-grünes Wunschprojekt? Er befürchte ja, aber nur in ihrem Sinne. Es seien dringend notwendige Investitionen in die Zukunft dieses Landes, so Miersch.
Die CDU/CSU-Fraktion, bestehend aus 197 Bundestagsabgeordneten, hatte nicht nur die Debatte initiiert, sondern sich auch gegen die rückwirkende Änderung des Haushaltsgesetzes 2021 und des Bundeshaushaltsplans 2021 durch das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 vom 27. Januar 2022 ausgesprochen (20/300, 20/351, 20/400, 20/530, 20/401).
Das besagte Gesetz übertrug rückwirkend eine Kreditermächtigung von 60 Milliarden Euro, ursprünglich für das Haushaltsjahr 2021 vorgesehen, auf den "Energie- und Klimafonds" (EKF), der später in "Klima- und Transformationsfonds" (KTF) umbenannt wurde. Die Übertragung erfolgte im Februar 2022 und griff somit rückwirkend auf das abgeschlossene Haushaltsjahr 2021 zurück.
Gemäß der gerichtlichen Entscheidung erfüllt das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 nicht die verfassungsrechtlichen Anforderungen an notlagenbedingte Kreditaufnahmen. Der Gesetzgeber habe den notwendigen Veranlassungszusammenhang zwischen der festgestellten Notsituation und den ergriffenen Krisenbewältigungsmaßnahmen unzureichend dargelegt. Zudem stehe die zeitliche Entkoppelung der Feststellung einer Notlage gemäß Artikel 115 Absatz 2 Satz 6 des Grundgesetzes vom tatsächlichen Einsatz der Kreditermächtigungen im Widerspruch zu den "Verfassungsgeboten der Jährlichkeit und Jährigkeit". Diese Vorschrift erlaubt im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, die Überschreitung der Kreditobergrenzen durch einen Mehrheitsbeschluss des Bundestages.