Studie leuchtet Anstieg der AfD-Wahlbereitschaft aus
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Erwerbspersonen, die die AfD wählen wollen, berichten deutlich häufiger als der Durchschnitt der Erwerbspersonen von problematischen Arbeitsbedingungen und mangelnder Anerkennung im Job. Das zeigt eine neue Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung, für die auch detailliert erhoben wurde, ob Menschen Erfahrungen von Würde, demokratischer Teilhabe und sozialer Anerkennung im Kontext von Erwerbsarbeit erleben oder nicht.* Zudem zeichnen sich AfD-Wähler*innen durch ein hohes Maß an Misstrauen gegenüber staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen aus, gleichzeitig berichten sie überdurchschnittlich häufig von großen Belastungen und Sorgen. Diese betreffen ihre eigene wirtschaftliche Situation, die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes oder ihre Altersvorsorge, aber beispielsweise auch die soziale Ungleichheit und den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Land. Durch die Verwendung von Paneldaten ist es in der Studie möglich, AfD-Stammwähler*innen und Personen, die erst seit Kurzem zur AfD tendieren, zu vergleichen. So lassen sich Ursachen für das aktuelle Umfragehoch der AfD analysieren. Beide Gruppen unterscheiden sich in manchen Merkmalen spürbar voneinander. Beispielsweise ist der Frauenanteil unter potenziellen Neuwähler*innen höher, sie haben häufiger mittlere bis höhere Bildungsabschlüsse und Einkommen, die Bekämpfung des Klimawandels wird hier häufiger als wichtige politische Aufgabe erachtet, sie haben sich auch deutlich öfter gegen Corona impfen lassen als Stammwählende. Und während Stammwähler*innen der AfD mit sehr hohem Vertrauen in die Partei, die sie wählen, auffallen, ist es unter den neu zur AfD Tendierenden deutlich geringer. Eine sehr starke Ähnlichkeit besteht dagegen unter Neu- und Stammwählenden darin, dass sie hochbesorgt sind, der Bundesregierung extrem stark misstrauen, eine sehr kritische Sicht auf Migration haben - inklusive der Hilfe für Geflüchtete aus der Ukraine - und eine Politik zur Beschränkung von Zuwanderung für sie Priorität hat.
"Die Studie zeigt, dass es der AfD gelungen ist, noch stärker als bisher in die gesellschaftliche Mitte vorzudringen. Dabei wird diese Partei nicht trotz, sondern wegen ihrer migrationsfeindlichen Positionen gewählt. Gleichzeitig wird deutlich, dass Erfahrungen mangelnder sozialer und demokratischer Teilhabe, vor allem im Kontext von Erwerbsarbeit, ebenso wie materielle Sorgen mit der Wahl der AfD in Zusammenhang stehen", ordnet Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin des WSI, die neuen Ergebnisse ein.
Bei der Sonntagsfrage hat die AfD seit Beginn des Jahres stetig zugelegt, in den neuen Bundesländern ist sie zur stärksten Kraft avanciert. Um den Ursachen dieser Entwicklung auf die Spur zu kommen, hat WSI-Forscher Dr. Andreas Hövermann Daten des Erwerbspersonenpanels der Hans-Böckler-Stiftung ausgewertet. Für das Panel, das seit April 2020 regelmäßig erhoben wird, sind bei der zehnten und aktuellsten Welle im Juli 2023 über 5.000 Erwerbstätige und Arbeitsuchende befragt worden. Insgesamt viermal haben die Teilnehmenden in den vergangenen Jahren ihre Wahlabsicht zu Protokoll gegeben, kurz nach der Bundestagswahl 2021 zudem ihr tatsächliches Votum. Aus diesen Angaben lassen sich deutliche Zugewinne für die AfD ablesen: Während bei der Bundestagswahl noch 8,6 Prozent der Befragten ihr Kreuz bei dieser Partei gemacht hatten, erklärten im Juli 2023 knapp 23 Prozent, AfD wählen zu wollen. 28 Prozent davon wiederum hatten auch in den vorherigen Befragungen ausschließlich diese Präferenz geäußert, 38 mehrmals, aber nicht immer, 26 Prozent taten das zum ersten Mal.
Angesichts der Befunde kommt Studienautor Hövermann zu der Einschätzung, dass die migrationskritischen Positionen diejenigen sind, mit denen die AfD besonders bei ihren Wählenden punkten könne. Es sei aber für demokratische Parteien keine kluge Strategie, über diese Schiene Wähler*innen mit AfD-Präferenz ansprechen zu wollen. Nicht nur widerspreche dies den Werten und Grundsätzen offener demokratischer Gesellschaften, es vergifte auch den politischen Diskurs, verschärfe gesellschaftliche Spaltungen und verschiebe die Grenzen des Sagbaren nach rechts, wovon demokratische Parteien zudem auch noch selten profitierten. Darauf deute beispielsweise die Analyse der Wähler*innenwanderung zur AfD im Zeitverlauf hin, so Hövermann: Zwar verloren mit der FDP und der SPD auch zwei Ampelparteien viele Wählende an die AfD, jedoch wandten sich die Wählenden im Falle der SPD verstärkt im ersten Jahr nach der Bundestagswahl ab. Im vergangenen Jahr fällt in den Analysen insbesondere die Union mit Verlusten an die AfD auf, die zwar wiederholt eine politische Brandmauer nach rechts zusichert, deren Spitzenpolitiker jedoch mehrfach klar rechtspopulistische Positionen, Stilmittel und Vokabular teilten. Dagegen gebe es zahlreiche soziale Themen, mit denen die demokratischen Parteien durchaus Chancen hätten, zumindest einen Teil der nach rechts Gedrifteten zurückzugewinnen: Es gelte, sie jedoch unbedingt mit "anderen als mit migrationsfeindlichen Positionen" anzusprechen - mit Positionen, die geeignet sind, ihre sozialen und finanziellen Sorgen zu adressieren.
- Weniger Mitsprache und Anerkennung bei der Arbeit, häufiger Sorgen um den Job -
Im Vergleich zu den anderen Befragten sind unter den AfD-Anhänger*innen anteilig mehr Männer, Ostdeutsche und Personen ohne Abitur. Überdurchschnittlich vertreten sind auch Menschen mit geringen bis mittleren Einkommen, die Altersgruppe zwischen 30 und 49 Jahren und Eltern. Wenn es um die berufliche Situation geht, sticht die AfD-Wählerschaft in mehrfacher Hinsicht hervor: Arbeiter*innen kommen mit 22 Prozent deutlich häufiger vor als bei den anderen Befragten mit 12 Prozent. Gleiches gilt für Arbeitsuchende. Beamt*innen sind dagegen unterrepräsentiert. Einen Betriebs- oder Personalrat haben diejenigen mit AfD-Präferenz etwas seltener als der Rest. Sie sind - wenn es eine solche Interessenvertretung gibt - häufiger mit deren Arbeit unzufrieden. Auch Tarifverträge sind etwas weniger verbreitet als im Durchschnitt.
Auffällige Unterschiede betreffen die Erfahrungen im Arbeitskontext (siehe Abbildung 1 in der pdf-Version dieser PM; Link unten): Dass ihr Job sicher sei, sagen 74 Prozent derjenigen, die der AfD zuneigen, im Vergleich zu 85 Prozent der übrigen Befragten. Stolz auf die eigene Arbeit empfinden 74 Prozent im Vergleich zu 84 Prozent. Auch die Chancen im Fall von Arbeitslosigkeit werden pessimistischer eingeschätzt, die Arbeit wird seltener als abwechslungsreich empfunden, es gibt weniger Mitsprache bei strategischen Fragen am Arbeitsplatz und weniger Unterstützung durch Kolleg*innen. Insbesondere beim Thema soziale Anerkennung zeigen sich markante Differenzen: Für angemessen halten ihren Lohn 42 Prozent der AfD-Anhängerschaft und 55 Prozent der übrigen Erwerbspersonen, dass ihre Arbeitsleistung vom Arbeitgeber nicht wertgeschätzt werde, monieren 48 Prozent im Vergleich zu 40 Prozent. Alles in allem ist ein Viertel der AfD-Wähler*innen wenig oder gar nicht zufrieden mit dem Job, bei den anderen Befragten nur ein Sechstel.
"In der Studie wurden verschiedene Dimensionen von Würde im Arbeitskontext untersucht, zum Beispiel, stolz auf die eigene Arbeit zu sein oder eine abwechslungsreiche Tätigkeit ausüben zu können. Es wird deutlich, dass neben der Erfahrung von materieller Sicherheit auch diese Erfahrungen ebenso wie das Erleben sozialer Anerkennung und demokratischer Teilhabe im Kontext von Erwerbsarbeit einen Einfluss darauf haben, ob Menschen sich dafür entscheiden, ihre Stimme der AfD zu geben", sagt WSI-Direktorin Kohlrausch. "Erwerbsarbeit ist ein wichtiger Mechanismus sozialer Integration. Wenn Menschen dort dauerhaft Erfahrungen von Desintegration machen, schadet das der Demokratie."
Äußerst kritisch stehen die AfD-Sympathisant*innen auch staatlichen oder gesellschaftlichen Institutionen gegenüber (Abbildung 2 in der pdf-Version): Nur ein verschwindend geringer Anteil von ihnen äußert großes oder sehr großes Vertrauen in die Bundesregierung (2,8 Prozent) oder in die öffentlich-rechtlichen Medien (6 Prozent). Bei den Befragten, die andere Parteien bevorzugen, sind es 21 und 38 Prozent. Auch Polizei oder Gerichten stehen AfD-Wähler*innen deutlich distanzierter gegenüber. Das Vertrauen in die AfD selbst fällt dagegen mit 48 Prozent in ihrer Anhängerschaft vergleichsweise hoch aus, nur die Grünen schneiden hier mit 58 Prozent bei den eigenen Anhänger*innen deutlich besser ab, die SPD folgt mit 42 Prozent auf Platz drei (Abbildung 3).
Man müsse also davon ausgehen, dass viele Menschen die AfD aus Überzeugung wählen und nur eher wenige ihr Kreuz hier willkürlich aus Protest gegen demokratische Parteien machen, ohne auch mit der AfD einverstanden zu sein, so der WSI-Forscher. Er macht aber auch darauf aufmerksam, dass das Vertrauen in die AfD bei denjenigen weniger ausgeprägt ist, die vor kurzem zum ersten Mal eine Präferenz für diese Partei geäußert haben (20 Prozent, Abbildung 4). Das sei eventuell ein Grund zur Hoffnung, da einige der Neuwählenden noch keine gefestigte Wahlüberzeugung für die AfD entwickelt haben und bei ihnen der Weg zurück zu demokratischen Parteien noch nicht gänzlich verstellt sein könnte.
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Zum Klischee des "besorgten Bürgers" passt der Befund, dass AfD-Anhänger*innen ein "konstant sehr hohes Sorgen- und Belastungslevel" aufweisen (Abbildung 5 in der pdf-Version). Große Sorgen, den Lebensstandard nicht halten zu können, machen sich 47 Prozent von ihnen im Vergleich zu 23 Prozent der anderen Erwerbspersonen, wegen steigender Preise sorgen sich 71 Prozent im Vergleich zu 42 Prozent, um die eigene wirtschaftliche Situation 38 Prozent im Vergleich zu 19 Prozent. Starke oder äußerst starke Belastungen verspüren Befragte mit Vorliebe für die AfD im Hinblick auf die Gesamtsituation und die finanzielle Situation fast doppelt so oft wie die anderen. Die einzige weniger ausgeprägte Sorge bezieht sich auf eine mögliche Ausweitung des Ukrainekrieges.
- Ablehnung von Geflüchteten aus der Ukraine und Verschwörungserzählungen weit verbreitet -
Kurz nach der Bundestagswahl 2021 konnten die Befragten im Erwerbspersonenpanel angeben, welche Themen für die neue Regierung Priorität haben sollten. In manchen Punkten lagen die Befragten, die aktuell AfD wählen wollen, nicht weit entfernt vom Durchschnitt der Befragten. So nannten sie mit ähnlicher Häufigkeit beispielsweise Schaffung und Erhalt von Arbeitsplätzen, Investitionen in Infrastruktur oder Verbesserung der Pflege. Beim Thema Migration war die Differenz dagegen enorm: 95 Prozent der Befragten, die aktuell der AfD zuneigen, nannten die Begrenzung der Zuwanderung als ein wichtiges Thema. Unter denen, die andere Parteien wählen wollen, waren es 55 Prozent. Dass man gegenüber ukrainischen Geflüchteten nicht zu großzügig sein dürfe, bejahten in der Befragungswelle von November 2022 73 Prozent der AfD-Sympathisant*innen im Vergleich zu 36 Prozent der anderen Befragten, dass diese Geflüchteten sich erst mal hinten anstellen sollten, 76 Prozent im Vergleich zu 31 Prozent (Abbildung 6).
Gleichzeitig tendierte ein erheblicher Teil der AfD-Sympathisant*innen in vorherigen Befragungswellen zu Verschwörungserzählungen oder russlandfreundlichen Interpretationen des Kriegs gegen die Ukraine. Der Aussage, der Krieg in der Ukraine werde "genauso künstlich dramatisiert wie die Pandemie", stimmten im November 2022 mehr als die Hälfte der AfD-Wählenden zu (16 Prozent unter Wählenden anderer Parteien). Auch die Deutung der Schuldfrage, dass die NATO Russland zum Krieg "provoziert" habe, erhält unter knapp der Hälfte der Befragten mit AfD-Wahlabsicht Zuspruch (unter Wählenden anderer Parteien 14 Prozent).
Werden die Unterschiede zwischen den AfD-Wählendengruppen betrachtet, bestätigt sich das auch für die Einstellungen zu Geflüchteten geltende Bild: Verschwörungsideologische sowie russlandfreundliche Aussagen erhalten unter AfD-Stammwählenden klar den größten Zuspruch. Auch wenn die Zustimmungswerte unter den jetzigen AfD-Neuwählenden im Vergleich dazu geringer ausfallen, sind sie doch ebenfalls deutlich überdurchschnittlich und waren dies bereits im April 2022. Dagegen ist die Bekämpfung des Klimawandels ein Thema, bei dem Befragte, die erst in letzter Zeit zur AfD tendieren, zumindest nach der letzten Bundestagswahl deutlich näher bei den Wähler*innen anderer Parteien lagen als bei den AfD-Stammwähler*innen: 66 Prozent der Neuwähler*innen ordneten sie im Oktober 2021 als wichtig ein, gegenüber nur 37 Prozent der AfD-Stammwähler*innen und 85 Prozent der Wähler*innen anderer Parteien.
Um zumindest Teile der AfD-Wählerschaft für das demokratische Spektrum zurückzugewinnen, brauche es gute Politik, die Probleme und empfundene Ungerechtigkeiten angeht und löst, so Hövermann. "Wenn aber öffentliche Infrastruktur häufig nicht funktioniert oder bezahlbarer Wohnraum in vielen Regionen ausgesprochen knapp ist und hier tatsächliche Konkurrenzsituationen mit zugewanderten Personen entstehen, wenn unzureichend Geld zur Verfügung gestellt wird, um ankommende Menschen erfolgreich zu integrieren, ist all das Wasser auf die Mühlen der politischen Akteure, die weiteres Misstrauen in demokratische Institutionen schüren und einheimische gegen geflüchtete Menschen aufbringen wollen." Eine Sparpolitik, wie sie derzeit vom Bundesfinanzminister vorgegeben wird, erscheine vor dem Hintergrund der Befunde dagegen als ein sehr gefährlicher Weg.
Autor: Boekler/kro