Drei verlorene Stunden für die Patientenversorgung
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Sowohl Ärztinnen und Ärzte als auch Pflegekräfte verbringen täglich durchschnittlich drei Stunden mit Dokumentationsarbeiten, die häufig keinen Nutzen für die Behandlung der Patientinnen und Patienten haben. Reduzierte sich diese bürokratische Arbeit um nur eine Stunde pro Tag, würde dies rechnerisch rund 21.600 Vollkräfte im ärztlichen und etwa 47.000 Vollkräfte im Pflegedienst freisetzen. Dies ist das Ergebnis einer Umfrage zur Bürokratiebelastung in deutschen Allgemeinkrankenhäusern und Psychiatrien des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) im Auftrag der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG).
Seit langem ist die Dokumentationspflicht sehr umstritten, da dadurch viel Personal Ressourcen benötigt werden, die gerade unter dem Aspekt des Mangels an Pflegefachkräften, immer mehr in Frage gestellt wird. Allerdings gibt es auch Gegenstimmen, denn die Dokumentationspflicht dient nicht nur dem Nachweise durchgeführter Pflegetätigkeiten, sondern soll auch ein Hilfsmittel sein um Kolleginnen und Kollegen über die bereits durchgeführten Pflegetätigkeiten zu informieren.
Bedeutend kann die Pflegedokumentation dann werden, wenn es zu Streitigkeiten kommt, die nicht selten auch juristisch relevant sein können. Hier kann die Pflegedokumentation zu einem wichtigen Beweismittel vor Gericht werden.
Nicht selten dient die Pflegedokumentation nicht nur zu Dokumentation bereits durchgeführter pflegerischer Tätigkeiten, sondern sie kann auch dazu verwendet werden zu dokumentieren, welche Maßnahmen noch erforderlich sind, dient somit auch zur Pflegeplanung.
Trotzdem ist die Kritik nicht unberechtigt, denn wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fast die Hälfte ihrer Arbeitszeit mit Dokumentationsarbeiten beschäftigt sind, dann kann das auch der Hinweis darauf sein, dass der Prozess mittlerweile zu viel Aufwände verursacht und dringend überarbeitet werden müsste. "Als besonders zeitaufwändig bei kaum erkennbarem Nutzen für die Patientenversorgung nannten die Befragten die Bearbeitung von Anfragen des Medizinischen Dienstes (MD) bzw. eine Dokumentation, die den Anforderungen und Prüfkriterien des MD genügt. Ähnlich häufig wurde die Erfüllung von Nachweisen und Checklisten zur internen und externen Qualitätssicherung genannt. Hohe Zeitaufwände ergeben sich ebenfalls durch viele mehrfache und redundante Erfassungen aufgrund von fehlender IT-Unterstützung, mangelnder Schnittstellen sowie generell zu geringem Digitalisierungsgrad der Krankenhäuser," heißt es in der Zusammenfassung der Blitzumfrage der DKG.
„Die Zahlen sind erschütternd. Drei Stunden pro Tag entsprechen 116.600 von knapp 343.000 Vollkräften (34 %) im Pflegedienst von Allgemeinkrankenhäusern und 59.500 von gut 165.200 ärztlichen Vollkräften bundesweit (36 %). Diese Fachkräfte stehen in der Zeit, in der sie die ausufernden Bürokratiepflichten erfüllen müssen, nicht der Patientenversorgung zu Verfügung. Die Dokumentation hat sich über viele Jahre von einer notwendigen Nebentätigkeit zu einer extremen Last entwickelt. Das Problem von medizinisch und pflegerisch viel zu oft nicht notwendiger Schreibarbeit ist völlig außer Kontrolle geraten. Dass Pflegekräfte und Ärztinnen und Ärzte ein Drittel ihrer Arbeitszeit für Bürokratie einsetzen müssen, ist schlicht inakzeptabel. Gerade vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels in Pflege und Medizin können wir uns diese Verschwendung wertvollster und hochqualifizierter Arbeitskraft nicht mehr leisten. Die immense Menge an Dokumentationsarbeit zeigt aber auch, dass das Fachkräfteproblem durch konsequente Entbürokratisierung deutlich verringert, wenn nicht sogar gelöst werden könnte. Weniger Bürokratie hieße, dass sich die Beschäftigten mehr um die Patientinnen und Patienten kümmern könnten, die Arbeitsbelastung würde sinken und die Attraktivität der Arbeit aus Sicht der Fachkräfte deutlich steigen. Es verwundert, dass Gesundheitsminister Lauterbach das Bürokratie-Problem noch immer nicht angegangen ist. Im Gegenteil, seine Gesetzentwürfe führen zu noch mehr Bürokratie im Krankenhaus. Während andere Ressortchefinnen und -chefs dem Justizministerium Vorschläge zur Entbürokratisierung eingereicht haben, kam aus dem Gesundheitsministerium bisher nichts Substanzielles. Dabei behindert und lähmt die Bürokratie im Gesundheitssystem genauso wie in allen anderen Bereichen. Und mit Blick auf die Pläne zur Krankenhausreform ist zu befürchten, dass die Bürokratielast für die Beschäftigen sogar weiter steigt“, erklärt Dr. Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der DKG.
Die extreme Bürokratie vermindert auch die Motivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Nahezu 100 Prozent der Beschäftigten der Allgemeinkrankenhäuser kritisieren den Dokumentationsaufwand sehr oft (77 %) oder oft (22 %). Kliniken befürchten, dass diese Bürokratiebelastung dazu führt, dass sich weniger Fachkräfte bewerben. Dies betrifft nicht nur die Allgemeinkrankenhäuser, sondern in fast demselben Maß auch die Psychiatrien.
Ähnliche Resultate ergaben jüngste Umfragen der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz, deren Vizepräsidentin Andrea Bergsträßer erläutert dazu: „Die unnötige Bürokratie führt nicht nur zu einem enormen Motivationsproblem, sondern lässt auch einen Teil der Pflegenden ernsthaft über einen Ausstieg aus dem Beruf nachdenken. In einer Zeit des Fachkräftemangels darf der Verwaltungsaufwand nicht die Lust auf die eigentliche Profession verderben.“
„Der dringend notwendige Bürokratieabbau erfordert vor allem deutlich mehr Vertrauen zwischen den Leistungserbringern und den Kostenträgern. Ständige Prüfungen und Kontrollen zu Qualitätssicherungsrichtlinien, Strukturvorgaben sowie Einzelfällen führen dazu, dass man eine Vielzahl von Daten erhebt und dokumentieren lässt, die mit der direkten Patientenversorgung nicht in Verbindung stehen und keinerlei Auswirkung auf den Behandlungserfolg haben. Die Mitarbeiter belastet dies nicht nur, es frustriert und demotiviert auch in hohem Maße. Der Gesetzgeber muss die Vorgaben auch auf negative Folgen für die Klinik-Beschäftigten überprüfen. Ein Beispiel ist die Richtlinie zur minimalinvasiven Herzklappeninterventionen, die fordert, dass in jeder Schicht mindestens eine Pflegekraft mit Fachweiterbildung in Intensivpflege/Anästhesie eingesetzt ist. Unter dem ohnehin bestehenden Fachkräftemangel belastet das die Kolleginnen und Kollegen noch einmal zusätzlich und schränkt sie z. B. bei der Dienst- und Urlaubsplanung spürbar ein. In der Folge sinkt die Bereitschaft, sich überhaupt in diese Fachrichtung weiterbilden zu lassen, oder die Kolleginnen und Kollegen wandern in die Zeitarbeit ab. Hier und in vielen anderen Bereichen besteht dringender Handlungsbedarf“, erklärt der Pflegerische Bereichsleiter für Anästhesie und Intensivmedizin des Waldkrankenhauses Berlin-Spandau, Denny Götze.
„Die Verantwortlichen in den Krankenhäusern haben konkrete Vorschläge zur Entbürokratisierung formuliert. Wir haben fünf übergeordnete Kernanliegen. Die Nachweispflichten müssen grundlegend reduziert werden. Die Gesetzgebung muss sich einer realistischen Bürokratiefolgenabschätzung unterziehen. Wir brauchen zudem ausreichende Umsetzungsfristen, Normgebung und Normumsetzung müssen klar getrennt werden. Nicht zuletzt müssen wir die Digitalisierung vorantreiben, denn sie kann ein zentraler Punkt sein, um Bürokratielasten zu vermindern,“ sagt Prof. Dr. Henriette Neumeyer, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der DKG.
Dr. Peter Bobbert, Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie und Präsident der Ärztekammer Berlin erklärt dazu: „Wer in Zeiten des Fachkräftemangels ärztliche Arbeitskraft gewinnen will, muss sich konsequent für Entbürokratisierung einsetzen. Unsere ärztliche Arbeit dient den Patientinnen und Patienten. Gute Verwaltungen erkennen, dass Menschen mehr zählen als Formulare.“
„Wir haben der Politik 55 ganz konkrete Vorschläge zum Abbau von Bürokratie unterbreitet. Bei den Prüfungen des Medizinischen Dienstes überschneiden sich immer wieder Strukturprüfung und Qualitätskontrolle. Alleine bei der Strukturprüfung umfasst die Richtlinie der Prüfversion des medizinischen Dienstes 497 Seiten, der Begutachtungsleitfaden zu der Richtlinie noch einmal 90 Seiten. Solche Prüfungen müssen vereinfacht und ihre Gültigkeit verlängert werden. Ein anderes klassisches Beispiel sind die Verfahren zu neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB) und dass von allen Häusern einzeln. Jahr für Jahr müssen immer wieder die gleichen Anträge gestellt werden. Diese immer wiederkehrenden völlig überflüssigen Antragspflichten müssen abgeschafft und die Anträge vereinfacht werden,“ so Neumeyer.
Den Krankenhäusern steht aber neben den schon bestehenden Bürokratielasten neues Ungemach ins Haus. Der Minister hat die minutengenaue Dokumentation und Zuordnung von ärztlichen Leistungen zu jeder Leistungsgruppe beschlossen. „Das bedeutet, dass jeder Arzt und jede Ärztin zukünftig genau angeben müssen, wie viel Zeit pro Tag welcher Leistungsgruppe zugeordnet ist. Da aber Leistungsgruppe nicht gleich Abteilung ist, kann alleine schon bei einer Visite in einem Zimmer mit drei Patienten die aufgewendete Zeit verschiedenen Leistungsgruppen zugeordnet werden. Alleine diesen Wahnsinn muss man umgehend stoppen. Eine derartige Dokumentationspflicht trägt nichts zu einer qualitativ hochwertigen Versorgung bei, sie bedeutet zusätzliche Bürokratie und frustriert die Ärztinnen und Ärzte. Flächendeckend protestieren die betroffenen Medizinerinnen und Mediziner bereits gegen diesen unsinnigen Mehraufwand. Mit diesen neuen Dokumentationspflichten verschärft Minister Lauterbach die Bürokratie, ganz entgegen seiner Ankündigungen,“ so Gaß.
Autor: kk/DKG/ © EU-Schwerbehinderung
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