Lauterbach stellt Pläne zur Krankenhausreform vor
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Die Behandlung von Patientinnen und Patienten in Krankenhäusern soll künftig mehr nach medizinischen und weniger nach ökonomischen Kriterien erfolgen. Das empfiehlt die 17-köpfige „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“. Dafür sollen die Kliniken nach drei neuen Kriterien honoriert werden: Vorhalteleistungen, Versorgungsstufen und Leistungsgruppen. Das Fallpauschalensystem müsse entsprechend weiterentwickelt werden, heißt es in der Empfehlung.
Dazu erklärt Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach:
„Diese Empfehlung wird eine Grundlage für unsere große Krankenhausreform sein. Patientinnen und Patienten sollen sich darauf verlassen können, dass sie überall, auch in ländlichen Regionen, schnell und gut versorgt werden sowie medizinische und nicht ökonomische Gründe ihre Behandlung bestimmen. Dafür müssen wir das Fallpauschalen-System überwinden. Wir haben die Ökonomie zu weit getrieben. Eine gute Grundversorgung für jeden muss garantiert sein und Spezialeingriffe müssen auf besonders gut ausgestattete Kliniken konzentriert werden. Momentan werden zu oft Mittelmaß und Menge honoriert. Künftig sollen Qualität und Angemessenheit allein die Kriterien für gute Versorgung sein. Ich danke allen Expertinnen und Experten der Regierungskommission für ihre hervorragende Arbeit.“
Die Vorschläge der Regierungskommission im Einzelnen:
- Vergütung von Vorhalteleistungen
Derzeit erfolgt die Finanzierung von Krankenhausleistungen weitestgehend über Fallpauschalen (siehe Hintergrund unten). Fixkosten – wie das Vorhalten von Personal, einer Notaufnahme oder notwendiger Medizintechnik – müssen überwiegend ebenfalls über die Fallpauschale erwirtschaftet werden. Um die Bedeutung der Krankenhäuser für die Daseinsvorsorge zu unterstreichen und um den wirtschaftlichen Druck auf möglichst viele Behandlungsfälle zu senken, empfiehlt die Regierungskommission, künftig einen festen Betrag als Vorhaltekosten zu definieren, den Krankenhäuser – je nach ihrer Zuordnung (siehe Punkte 2 und 3) – erhalten. Damit wird wirtschaftlicher Druck von den Krankenhäusern genommen.
- Definition von Krankenhaus-Versorgungsstufen (Leveln)
Die Krankenhausstrukturen in Deutschland sind historisch gewachsen. Jedes Krankenhaus unterhält unterschiedliche Fachabteilungen und bietet unterschiedliche Leistungen an. Künftig sollen Krankenhäuser in drei konkrete Level eingeordnet und entsprechend gefördert werden:
- Grundversorgung – medizinisch und pflegerische Basisversorgung, zum Beispiel grundlegende chirurgische Eingriffe und Notfälle.
- Regel- und Schwerpunktversorgung – Krankenhäuser, die im Vergleich zur Grundversorgung noch weitere Leistungen anbieten.
- Maximalversorgung – zum Beispiel Universitätskliniken.
Für jedes Level sollen einheitliche Mindestvoraussetzungen gelten. Damit würden erstmals einheitliche Standards für die apparative, räumliche und personelle Ausstattung gelten – und damit die Behandlungsqualität für die Patientinnen und Patienten maßgeblich erhöht werden.
Den Krankenhäusern des Levels I wird eine besondere Bedeutung zugemessen. Sie müssen flächendeckend eine wohnortnahe Versorgung garantieren. Sie werden daher unterteilt in Krankenhäuser, die Notfallversorgung sicherstellen (Level I n) und solche, die integrierte ambulant/stationäre Versorgung anbieten (Level I i). Krankenhäuser des Levels I i soll eine Schlüsselrolle auf dem Weg zur Überwindung der zu häufig noch stationärer-ambulant getrennten Gesundheitsversorgung zukommen. Deshalb empfiehlt die Regierungskommission, sie sektorenübergreifend regional zu planen, sie vollständig aus dem DRG-System herauszunehmen und über Tagespauschalen zu vergüten. Zudem soll durch entsprechende gesetzliche Änderungen ermöglicht werden, dass sie unter pflegerischer Leitung stehen können.
- Einführung von definierten Leistungsgruppen
Die lediglich grobe Zuweisung von Fachabteilungen (wie „Innere Medizin“) zu Krankenhäusern soll durch genauer definierte Leistungsgruppen abgelöst werden (z. B. „Kardiologie“). Derzeit behandeln Krankenhäuser gewisse Fälle zu häufig auch ohne passende personelle und technische Ausstattung, etwa Herzinfarkte ohne Links-herzkatheter, Schlaganfälle ohne Stroke Unit oder onkologische Erkrankungen ohne zertifiziertes Krebszentrum.
Behandlungen sollen künftig nur noch abgerechnet werden können, wenn dem Krankenhaus die entsprechende Leistungsgruppe zugeteilt wurde. Voraussetzung für die Zuteilung ist die Erfüllung genau definierter Strukturvoraussetzungen für die jeweilige Leistungsgruppe, etwa bezüglich personeller und apparativer Ausstattung. Je nach Komplexität wird für jede Leistungsgruppe festgelegt, ob sie an Krankenhäusern aller drei Level erbracht werden darf oder nur an Krankenhäusern höherer Level (II und III oder nur III). Die Behandlungsqualität für die Patientinnen und Patienten wird so maßgeblich verbessert. Für jede Leistungsgruppe wird ein Vorhalteanteil festgelegt.
Die Regierungskommission empfiehlt, die Regelungen nicht sofort gelten zu lassen, sondern in einer großzügigen Übergangsphase schrittweise einzuführen (Konvergenzphase von 5 Jahren). Damit bleibt den Krankenhäusern, den Ärztinnen und Ärzten, Krankenkassen und Ländern ausreichend Zeit, sich auf das veränderte Finanzierungssystem einzustellen.
Auftrag der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung
Laut Koalitionsvertrag sollte die Regierungskommission Empfehlungen für eine Weiterentwicklung der Krankenhausfinanzierung vorlegen, die das bisherige System um ein nach Versorgungsstufen (Primär-, Grund-, Regel-, Maximalversorgung, Universitätsklinika) differenziertes System erlösunabhängiger Vorhaltepauschalen ergänzt. Die Regierungskommission wurde im Mai 2022 eingesetzt und hat seitdem zu verschiedenen Themen (u. a. auskömmliche Finanzierung von Pädiatrie und Geburtshilfe, Krankenhaustagesbehandlung) Stellungnahmen vorgelegt, die im Krankenhauspflegeentlastungsgesetz umgesetzt wurden.
Hintergrund: Die derzeitige Krankenhausfinanzierung
Krankenhäuser decken ihre laufenden Betriebskosten (Kosten für medizinische Behandlung, z. B. Personal, Operationsbedarfe, …) über die sogenannten Fallpauschalen (DRGs). Das heißt: Sie erhalten einen fixen Betrag, auch wenn die Behandlung tatsächlich mehr oder weniger gekostet hat. Investitionskosten – also zum Beispiel Kosten für Bauten oder bauliche Instandhaltung – sind in ausreichender Höhe von den Ländern zu tragen. Dies geschieht nicht flächendeckend in ausreichendem Maße.
Durch das Fallpauschalensystem besteht ein Anreiz, sehr viele – im Zweifelsfall auch unnötige – Operationen oder anderweitige Behandlungen durchzuführen (sog. Leistungs- oder Mengenanreiz), zudem insbesondere die Fallpauschalen abzurechnen, die besonders lukrativ sind – und Fachbereiche, die weniger lukrativ sind, wie die Kinder- und Jugendmedizin, zu schließen. Darüber hinaus besteht der wirtschaftliche Anreiz, Patientinnen und Patienten so früh wie möglich zu entlassen, um durch die Fallpauschale mehr einzunehmen, als die Behandlung gekostet hat („blutige Entlassung“). Entsprechend hoch ist der wirtschaftliche Druck im System.
Im weltweiten Vergleich finanziert Deutschland seine Krankenhäuser damit am stärksten über Leistungs- und Mengenanreize. Damit unterscheidet sich die Krankenhausfinanzierung nicht nur von anderen Gesundheitssystem, die Fallpauschalen nutzen, sondern auch von vergleichbarer kritischer Infrastruktur und Einrichtungen der Daseinsvorsorge in Deutschland (z. B. Feuerwehr).
In der Vergangenheit wurden verschiedene gesetzgeberische Schritte unternommen, um die negativen Auswirkungen der Fallpauschalen abzumildern. Etwa über die Definition von Anforderungen (z. B. eine bestimmte Mindestmenge), die die Krankenhäuser erfüllen müssen, um eine Leistung abzurechnen oder Zuschläge für bestimmte Krankenhäuser (z. B. Sicherstellungszuschläge für wirtschaftlich bedrohte, aber für die Versorgung wichtige Krankenhäuser) oder die Herausnahme der Pflege aus den Fallpauschalen. Diese Lösungen „im System“ haben die Defizite der Fallpauschalenfinanzierung nicht komplett beheben können.
Die Empfehlungen aus der Expertenkommission zur grundlegenden Reform der Krankenhausvergütung, die heute in Berlin vorgestellt wurden, haben aus Sicht der privaten Krankenhausträger positive Elemente und geben durchaus kluge neue Impulse. Dies gilt vor allem für den Fokus auf mehr ambulante Versorgung, die geplanten Vorhaltepauschalen und auch für die stärkere Gewichtung auf Behandlungs- und Ergebnisqualität. Entscheidend sind letztlich aber nicht die Ankündigungen, sondern die gesetzgeberische Umsetzung. Ob eine zentrale Regulierung der Versorgungsstufen aus Berlin am Ende zum Versorgungsauftrag des einzelnen Krankenhauses aus der Krankenhausplanung passt, muss sich erst zeigen. Entlastungen für die angespannte wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser ergeben sich auch nicht aus einer Umverteilung der bisher unterfinanzierten Betriebs- und Investitionskosten. Insofern wird zusätzliches Geld nötig sein.
Die Krankenhäuser in privater Trägerschaft betreiben mittlerweile jedes dritte Krankenhaus in Deutschland – in allen Versorgungsstufen vor allem auch in ländlichen Regionen. Thomas Lemke, Vizepräsident des BDPK, betonte heute, dass private Krankenhausträger weiterhin ihren Beitrag zur Sicherstellung zu einer hochwertigen Patientenversorgung in Deutschland leisten werden. „Eine hohe medizinische und pflegerische Versorgungsqualität der Patienten an unseren Standorten, die gemessen und für die Patienten nachvollziehbar sein muss sowie die Sicherstellung der Versorgung an unseren Standorten bleiben unsere Handlungsmaxime. Wir private Krankenhausträger werden unseren Beitrag zu einer Reform des Krankenhauswesens leisten und konstruktiv daran mitarbeiten.“
Ates Gürpinar, Sprecher für Krankenhauspolitik der Bundestagsfraktion DIE LINKE kritisiert die heutige Vorgestellte Krankenhausreform:
"Lauterbach ist mit seiner Revolution schon am Start gestolpert. Das ist die mutloseste Revolution, die man sich vorstellen kann. Die Probleme im Gesundheitsbereich werden klar benannt, aber der Bundesgesundheitsminister präsentiert als Lösungsvorschläge unzureichendes Stückwerk. Es ist gefährlich, wenn Lauterbach das von ihm mitgeschaffene Fallpauschalensystem als Ursache für schlechte, medizinische Entscheidungen beschreibt, aber trotzdem an ihm festhält. Wir müssen die Fallpauschalen überwinden."
"Die Strukturreform birgt Unklarheiten, auch weil weiter behauptet wird, dass ökonomischer Druck im Gesundheitswesen notwendig sei. Unter dieser Prämisse entsteht nichts Gutes. Wir brauchen eine Revolution im Gesundheitswesen, die diesen Namen verdient. Einnahmen- und Ausgabenlogik müssen auf neue Füße gestellt werden. Wir müssen verhindern, dass Gelder der Versicherten als Profit privatisiert werden. Auch wenn Minister Lauterbach das Wort ‚Revolution‘ immer wieder beschwört, ist das von ihm nicht zu erwarten."
Zum dem von der Regierungskommission vorgelegten Reformkonzept zur Krankenhausfinanzierung erklären Maria Klein-Schmeink (Grüne), stellvertretende Fraktionsvorsitzende, und Janosch Dahmen (Grüne), Sprecher für Gesundheitspolitik:
Wir danken den Expertinnen und Experten für diese wichtigen und weitreichenden Reformvorschläge zur Krankenhausfinanzierung. Damit werden zentrale Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag angestoßen. Für die Umsetzung dieser Vorschläge braucht es eine gemeinsame Anstrengung von Bund und Ländern, denn eine umfassende Reform der Krankenhausversorgung kann nur erfolgreich sein, wenn Bund und Länder sie gemeinsam angehen.
Fehlende Betten in Kinderkliniken, überlastete Intensivstationen und überfüllte Notaufnahmen machen deutlich, dass das heutige Fallpauschensystem im Krankenhaus notwendige Grundversorgung aus ökonomischen Gründen beschnitten, schlechte Versorgung begünstigt und eine immer stärkere Überlastung des Personals herbeigeführt hat. Natürlich müssen auch ökonomische Kriterien berücksichtigt werden, schließlich sind unsere Mittel nicht unendlich. Doch finanzielle Anreize allein dürfen nicht leitend sein für die medizinische Versorgung. Gesundheit ist keine Ware und Patientinnen und Patienten sind keine Kunden. Die Stellungnahme der Regierungskommission ist der Startschuss für eine umfassende Krankenhausreform, die dazu führen muss, dass wir das Fallpauschalensystem in seiner bisherigen Form hinter uns lassen.
Künftig sollen die Vorhaltekosten für Krankenhäuser durch Pauschalen finanziert werden, die unabhängig von der Zahl der behandelten Fälle sind. Damit sinkt der Druck, diese Kosten über möglichst viele, möglichst lukrative Behandlungen zu erwirtschaften. Damit werden Krankenhäuser wieder ein stärkerer Teil der Daseinsvorsorge und die Grundversorgung ist flächendeckend und wohnortnah sichergestellt.
Um weiterhin eine breite Versorgung in allen Regionen Deutschlands zu gewährleisten und zugleich die Versorgungsqualität zu verbessern, werden Krankenhäuser bestimmten Versorgungsstufen zugeordnet. Zusätzlich soll genau definiert werden, welche Leistungen ein Krankenhaus abrechnen darf. Dazu muss es bestimmte Kriterien erfüllen. So ist gewährleistet, dass es einerseits überall in Deutschland eine bedarfsgerechte stationäre Versorgung gibt und dass andererseits komplizierte Eingriffe nur in solchen Krankenhäusern erfolgen, in dem alle notwendigen Spezialist*innen in der nachweislich erforderlichen Qualität immer zur Verfügung stehen. So ist gewährleistet, dass alle Patientinnen und Patienten die bestmögliche Versorgung erhalten.
Und nicht zuletzt liegt uns besonders am Herzen, dass wir mit den nun anstehenden Reformen für Pflegepersonal und Ärzteschaft das Hamsterrad aus immer mehr Patientenfällen zu immer schlechterer Qualität endlich beenden und damit einen wichtigen Baustein für bessere Arbeitsbedingungen legen.