Betrug im Gesundheitswesen kann Menschenleben gefährden
- Lesezeit: 3 Minuten
Ob in Arztpraxen, Apotheken, Krankenhäusern, Pflegeheimen, Sanitätshäusern oder Praxen für Physio- und Ergotherapie. Falschabrechnungen gibt es in allen Leistungsfeldern des Gesundheitssystems. Allein im vergangenen Jahr erhielt die Prüfgruppe Abrechnungsmanipulation der KKH Kaufmännische Krankenkasse bundesweit 468 neue Hinweise – und damit 100 mehr als noch 2021. Wie hoch deren monetärer Schaden ist, ist in akribischer Sherlock Holmes-Arbeit erst noch zu ermitteln. Fest steht hingegen, dass Pflegedienste mit 139 Fällen in 2022 erneut den traurigen Platz 1 belegen. Eine Verdoppelung und damit die stärkste Zunahme an Hinweisen von 2021 auf 2022 verzeichnet die KKH bei Krankengymnastik- und Physiotherapiepraxen. Sie landen mit 101 neu gemeldeten Fällen auf Position 2, gefolgt von Pflegeheimen mit 77 Hinweisen auf Rang 3.
Das Ermittlerteam der KKH konnte im dritten Corona-Jahr aus vergangenen Betrugsfällen mehr als 1,2 Millionen Euro zurückholen. Damit konnte erstmals die 1-Million-Euro-Grenze bei den Geldeingängen überschritten werden. Der durch bewusste Falschabrechnung allein bei der KKH verursachte Gesamtschaden betrug in 2022 ebenfalls mehr als eine Million Euro. Die höchste Schadenssumme hiervon mit rund 428.800 Euro verursachten Krankengymnasten- und Physiotherapiepraxen, gefolgt von Zahnärzt*innen (rund 122.900 Euro) und Pflegeheimen (rund 116.880 Euro).
Kassen-Abzocke auf Kosten menschlichen Leids
Dreistigkeit scheint bei Abrechnungsbetrug fast keine Grenzen zu kennen, wie ein Beispiel zeigt. So soll ein Augenarzt von Begleitpersonen seiner Patienten die elektronische Gesundheitskarte eingelesen haben unter dem Vorwand, Kontaktdaten zur Corona-Nachverfolgung zu erfassen. Diese nutzte er, um Behandlungen abzurechnen, die nie erfolgten. Das Gesundheitswesen ist nicht nur wegen der vielfältigen Akteure anfällig für Manipulation und Korruption, sondern vor allem auch wegen der hohen Leistungsausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung. Allein im vergangenen Jahr beliefen sich diese auf rund 289 Milliarden Euro. „Da scheint die Versuchung für die – wenn auch wenigen – schwarzen Schafe im Gesundheitswesen groß, sich unrechtmäßig hohe Summen abzuzweigen, sei es mit gefälschten Rezepten, nicht erbrachten Vorsorgeuntersuchungen, gepanschten Arzneimitteln oder auch unqualifizierten Mitarbeitenden“, sagt KKH-Chefermittlerin Dina Michels. Für die Juristin oftmals ein skrupelloses Verhalten, denn: „Zum einen fehlen die gesetzwidrig erschlichenen Gelder dem solidarischen Sozialsystem, beispielsweise für die Versorgung kranker Menschen. Zum anderen, und das wiegt noch schwerer, werden die Gesundheit und mitunter sogar das Leben von Versicherten aufs Spiel gesetzt, wenn zum Beispiel Pseudo-Pflegepersonal Ernährungssonden und Dauerkatheter setzt oder Insulin-Injektionen verabreicht.“ Obendrein schaden kriminelle Leistungserbringer*innen dem Ansehen ehrlicher Berufskolleg*innen.
Spezialisten bilden immer dichteres Täter-Netz
Ob Betrug, Korruption, Schmiergeldzahlungen oder Urkundenfälschungen, ob betrügerisches Verhalten Einzelner oder ganzer Banden: Dina Michels arbeitet seit vielen Jahren Fälle von Betrug im Gesundheitssektor auf. Schon früh forderte sie die Einrichtung landesweiter, spezialisierter Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften, die Straftaten intensiv verfolgen und aufklären. Inzwischen bestehen sie in zwölf Bundesländern. „Wichtig ist, dass es solche Strafverfolgungsbehörden mit Spezialist*innen in den Bereichen der medizinischen Abrechnung, der IT-Forensik und bei der Kriminalpolizei deutschlandweit gibt“, so Michels. „Nur so kann ein engmaschiges Profi-Netzwerk geknüpft werden, das es Tätern erschwert, Schlupflöcher für ihre illegalen Machenschaften zu finden. Immer wichtiger wird dabei auch die länderübergreifende Zusammenarbeit. Denn manche Täter ziehen von Bundesland zu Bundesland, um einer Strafverfolgung zu entgehen.“