Hohe Unzufriedenheit bei Digitalisierung in Arztpraxen
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Das Deutschland kein Meister im Bereich der Digitalisierung ist, macht sich an immer mehr Stellen bemerkbar. Sei es im Bereich der Bildung, bei Vernetzung von Behörden, aber auch in Arztpraxen. Gerade letztere scheinen von IT-Problemen besonders betroffen zu sein. Patientinnen und Patienten merken das meist zuerst dann, wenn plötzlich keine Terminvergabe möglich ist, weil die Computersysteme in der Praxis nicht funktionieren.
Dahinter steckt of die sogenannte Telematikinfrastruktur (TI), die für die Vernetzung der Arztpraxen zuständig ist. Diese Vernetzung bietet nicht nur die Möglichkeit der elektronischen Patientenakte, sondern auch andere Funktionalitäten wie elektronische Krankschreibungen oder elektronische Rezepte sind Bestandteil der Praxissoftware.
Vorteil der Technologie wäre schnellerer Austausch bestimmter Gesundheitsdaten zwischen Facharzt und dem Hausarzt, aber auch im Krankheitsfalle für beispielsweise Krankenhäuser, insofern Patienten den Datenaustausch ermöglichen.
Besonders praktisch könnte die Funktion rund um das E-Rezept werden, denn wenn dieses verfügbar ist, reicht der Anruf beim Arzt und das Medikament (sofern verfügbar) kann direkt bei der Apotheke abgeholt werden. Eine Funktion die gerade für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen oder anderen Einschränkungen, erhebliche Erleichterung bieten und sogar Kostenersparnisse mit sich bringen könnte.
Bei all den Möglichkeiten, prallen allerdings momentan zwei Welten aufeinander. Die eine Welt ist eben der Wunschtraum um diese Funktionalitäten, die andere Welt nennt sich Realität. So berichtet das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi):
Fast jede zweite Arzt- und Psychotherapiepraxis hat mehrfach im Monat Probleme mit der Praxissoftware, wenn es um die Umsetzung der Vorgaben zur digitalen Vernetzung der Praxen, der sogenannten Telematikinfrastruktur (TI), geht. Rund ein Viertel der Praxen erleidet sogar sehr häufig (d.h. wöchentlich) Abstürze der Software. Dann steht auch die Patientenversorgung still, denn ohne Software geht in den allermeisten Praxen heute nichts mehr.
Besonders oft kommt es zu Schwierigkeiten beim Auslesen der elektronischen Gesundheitskarte, gefolgt von Störungen bei klassischen TI-Anwendungen wie dem Ausstellen einer elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU). Die eAU wird von 62,5 Prozent der Praxen im Versorgungsalltag als eher erschwerend wahrgenommen. Am ehesten erleichternd haben 46,4 Prozent den elektronischen Medikationsplan eingestuft. Noch unklar ist das Bild bei der Nutzung des elektronischen Arztbriefs. Dieser wird jeweils von rund einem Drittel der niedergelassenen Praxen als Erleichterung, als Belastung bzw. ohne Einfluss auf den Arbeitsaufwand gesehen.
Dass wichtige TI-Anwendungen nicht genutzt werden können, begründet die Hälfte der Teilnehmenden mit der zeitaufwendigen Einführung (51,7 Prozent) und einer hohen Fehleranfälligkeit (50,4 Prozent); oftmals treten nach notwendigen Software-Updates neue oder zusätzliche Probleme auf. Werden Probleme mit dem Praxisverwaltungssystem (PVS) festgestellt, wendet sich die Mehrheit der befragten Praxen direkt an den PVS-Anbieter (75,3 Prozent). Allerdings äußert mehr als die Hälfte Unzufriedenheit über die Erreichbarkeit der jeweiligen Servicehotline (51,5 Prozent). Zudem werden hohe allgemeine Kosten (60,7 Prozent) sowie hohe zusätzliche Kosten für den Support (55,1 Prozent) beklagt. Die Erhebung zeigt allerdings auch, dass einigen Anbietern von Praxissoftware die Umsetzung der TI-Vorgaben offenbar gut gelingt und hohe Zufriedenheitswerte erreicht werden können.
Das sind die zentralen Ergebnisse einer Online-Umfrage, die das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) mit dem Ärztenetzwerk Berlin vom 31. März bis zum 3. Juli 2023 unter Berliner Praxisinhaberinnen und -inhabern sowie ihren Mitarbeitenden durchgeführt hat. Ziel der Erhebung war es, Unterschiede in der Nutzerfreundlichkeit und im Service von Anbietern von Praxisverwaltungssystemen zu identifizieren und einen Einblick in die Implementierung der Telematikinfrastruktur in ambulanten Praxen zu erhalten. Im Rahmen seines Livestreaming-Formats „Zi insights“ hat das Zi die Kernergebnisse gestern Nachmittag öffentlich vorgestellt und mit Expertinnen und Experten aus vertragsärztlicher Praxis und gematik diskutiert.
„Die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und -therapeuten stehen der Digitalisierung offen gegenüber. Sie erhoffen sich von einer digitalen Vernetzung Arbeitserleichterungen. Für die Mehrheit der Praxen wird der Arbeitsalltag aber viel zu oft durch IT-Zusammenbrüche belastet, die dazu führen, dass anstatt der hilfesuchenden Patientinnen und Patienten akute Softwareprobleme behandelt werden müssen“, sagte der Zi-Vorstandsvorsitzende Dr. Dominik von Stillfried. Das erhöhe den Frust in den Praxen und die Wartezeiten für hilfesuchende Patientinnen und Patienten.
„Insgesamt stellt sich die von der Politik versprochene Datenautobahn für die Praxen eher als eine belastende Schotterpiste dar, auf der ein effizientes Praxis-Management massiv ins Schlingern gerät. Es steht zu befürchten, dass gerade ältere Ärztinnen und Ärzte früher als nötig ihre Praxen für immer zusperren, um nicht gezwungen zu sein, eine funktionsunfähige Telematikinfrastruktur anzuwenden, die täglich den Praxisbetrieb lahmlegt. Kurzum: Schlechte Digitalisierung gefährdet die Patientenversorgung“, so von Stillfried weiter. Deshalb müssten Praxen gefördert werden, die den Aufwand eines Wechsels zu einem funktionalen Softwareangebot auf sich nähmen.
„Jede Minute Technikproblem nimmt der Versorgung von Patientinnen und Patienten eine Minute ärztliche Versorgungszeit weg. Um das in Zukunft zu verhindern, brauchen wir ausreichend lange Testphasen, um die TI-Anwendungen technologisch abzurunden, im jeweiligen Softwaresystem alltagstauglich verankern zu können und so für die vertragsärztliche und psychotherapeutische Versorgung benutzerfreundlich und praxistauglich zu machen. Die bisherige Gesetzgebung zwingt die ambulante Versorgung immer noch dazu, unausgereifte und fehlerhafte Technik und Anwendungen in den Praxen zu verwenden – und bestraft sie auch noch finanziell dafür. Darüber hinaus deckt die vom Bundesministerium für Gesundheit beschlossene Monatspauschale bei Weitem nicht die Kosten, die den Praxen durch den verpflichtenden Einsatz von Komponenten, Diensten und Anwendungen der Telematikinfrastruktur entstehen. Dieses Vorgehen hat das Vertrauen der Ärzte- und Psychotherapeutenschaft in die politische Digitalisierungsstrategie nachhaltig erschüttert“, bekräftigte Dr. Sibylle Steiner, Mitglied des Vorstands der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).
Die KBV arbeite gemeinsam mit den Kassenärztlichen Vereinigungen derzeit an einem Rahmenvertrag, der klare Kriterien für gute und belastbare Softwareangebote enthalte. Diesen könnten Softwarehersteller auf freiwilliger Basis unterzeichnen. Das Vertragswerk könne vielen Praxen bald Orientierung bei der Suche nach einer verlässlichen Praxissoftware bieten, so Steiner abschließend.
Autor: kk / © EU-Schwerbehinderung