BMAS: Hält trotz Kritik Regelsätze für Hartz-IV gerechtfertigt
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Das Bundeskabinett hat gestern den „Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch sowie des Asylbewerberleistungsgesetzes“ beschlossen. Mit dem Regelbedarfsermittlungsgesetz werden die Regelbedarfe im Bereich der Sozialhilfe (SGB XII) und in der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) zum 1. Januar 2021 neu ermittelt. (wir berichteten)
In der gestrigen Pressekonferenz der Bundesregierung, wurde der Gesetzentwurf zur Ermittlung von Regelbedarfen thematisiert.
Frage an das das Arbeits- und Sozialministerium:
Es geht um die Anpassung der Regelsätze von Hartz IV. Sozialverbände und die Opposition beklagen, die ermittelten Regelsätze in der Grundsicherung seien viel zu niedrig. Was sagen Sie zu dieser Einschätzung?
Christina Jäger, Stellvertretende Pressesprecherinnen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS): Diese Vorwürfe sind für uns nicht neu. Sie werden regelmäßig gegen uns erhoben. Wir sind der Ansicht, dass sie nicht gerechtfertigt sind. Es wurde mehrfach überprüft, inwieweit die von uns zur Verfügung gestellten Regelsätze das soziokulturelle Existenzminimum ermöglichen. Das tun sie; davon sind wir überzeugt.
In diesem Jahr gibt es vergleichsweise hohe Anpassungen. Das gilt gerade für Kinder und Jugendliche. 14- bis 17-Jährige erhalten 39 Euro mehr, Kinder bis zu fünf Jahren erhalten 28 Euro mehr. Insoweit wurden einige Schritte vorgenommen. Daher sehen wir keinen Grund, uns diesen Schuh anzuziehen.
Frage: Sie haben es gerade recht nett formuliert. Die 6- bis 14-Jährigen bekommen als einzige Gruppe keine Erhöhung. Das ist aber genau die Gruppe, die in Deutschland am häufigsten in Armut lebt. Es gibt ja zwei bis drei Millionen Kinder in Armut. Die allermeisten von ihnen sind zwischen sechs und 14 Jahren alt. Für sie wird der Hartz-IV-Satz nicht erhöht. Warum nicht?
Jäger: Ich möchte zwischen dem Bezug von Grundsicherung und Armut unterscheiden. Denn eigentlich ist das Beziehen von Grundsicherung die Art, wie Armut vermieden wird. Es ist zwar nicht unbedingt ein Leben in entspannten Verhältnissen; das stimmt. Aber es ist nicht das Gleiche, als wären diese Kinder alle arm.
Grundsätzlich sind wir der Ansicht, dass Armut am besten dadurch umgangen werden kann, dass wir helfen, dass Eltern in Arbeit gelangen und dass die Bedingungen dafür stimmen.
Das ist etwas, was wir durchgängig tun und was wir angesichts der Coronapandemie etwa mit dem Kurzarbeitergeld, mit dem Menschen in Arbeit bleiben, verstärkt gemacht haben.
Zusatzfrage: Es ist gesellschaftlich akzeptiert, dass, wer Hartz IV bezieht, als arm gilt oder als arm gelten muss, weil man mit dem Hartz-IV-Regelsatz so wenig bekommt. Genau dazu habe ich gefragt. Sie haben die Frage nicht beantwortet. Warum wurde der Regelsatz für 6- bis 14-Jährige nicht erhöht?
Jäger: Weil die Ermittlung der Verbrauchswerte in der Altersstufe ergab, dass es in Ordnung ist, bei den alten Regelsätzen zu bleiben. Dass es gesellschaftlich akzeptiert ist, dass das bedeutet, arm zu sein, bedeutet noch lange nicht, dass es so sein muss.
Zusatzfrage: Aus Ihrer Sicht?
Jäger: Ich vertrete hier unsere Sicht und nicht Ihre.
Frage: Zur Ermittlung der Regelsätze. Es gab ja die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts, dass sich die Sätze am Entwicklungsstand der Gesellschaft orientieren sollen. Nun sind in den Regelsätzen, wenn ich die Zahlen richtig kenne, unter anderem ein Regelsatz von 1,60 Euro im Monat für Bildung oder 5 Euro am Tag für Lebensmittel enthalten. - Sie schütteln mit dem Kopf. Das sind die Zahlen, die berichtet werden. Wenn ich falschliege oder wenn jene, die diese Zahlen als Interessenvertreter herausgeben, falschliegen, korrigieren Sie bitte. Ansonsten wäre das aber nicht wirklich dem Entwicklungsstand der Gesellschaft entsprechend.
Jäger: Die Regelsätze geben nicht vor, in welcher Weise das Geld verwendet wird. Es ist also nicht so, dass wir etwa sagen, von diesem Geld dürfe nur 1,60 Euro für Bildung verwendet werden. Alle paar Jahre wird bei der Anpassung geschaut, in welchen Bereichen bei den 20 Prozent der einkommensschwächsten Familien in Deutschland, die als Maßstab herangezogen werden, ungefähr welche Ausgaben getätigt werden. Anschließend ist es aber keineswegs so, dass wir Geld verteilen, das nur für bestimmte Dinge verwendet werden kann. Vielmehr gibt es eine Gesamtsumme, ein Budget, und dieses Budget kann frei verwendet werden.
Zusatzfrage: Dann kann ich das Kopfschütteln nicht ganz nachvollziehen; denn in dieses Budget fließen ja, wie Sie eben bestätigt haben, Annahmen mit ein. Das kann bedeuten, dass man nicht 5 Euro am Tag für Lebensmittel ausgibt, sondern nur 4 Euro und damit mehr Geld für Bildung zur Verfügung hat. Das ist doch aber sozusagen eine Decke, die hinten und vorn zu kurz ist. Wenn man sie hochzieht, um einen warmen Hals zu haben, frieren die Füße.
Finden Sie, dass die Systematik, die Sie zugrunde legen, den Vorgaben des Verfassungsgerichts gerecht wird?
Jäger: Eindeutig ja.
Frage: Können Sie einmal begründen, warum Sie Ihre Berechnungsmethode immer noch für richtig halten, obwohl - ich habe einmal nachgeschaut - wirklich alle Sozialverbände diese ablehnen und Sie auffordern, eine grundlegend neue Berechnungsmethode anzuwenden, die transparent und nachprüfbar ist?
Jäger: Sie ist transparent und nachprüfbar und enthält kein Geheimnis. Aufgabe von Sozialverbänden ist es, genau so etwas zu fordern. Insofern wundert es mich nicht, aber ich bin nicht der Ansicht, dass an unserer Methode de facto irgendetwas nicht korrekt wäre.
Zusatz: Wenn alle Sozialverbände in Deutschland dem Sozialministerium sagen, dass Sie etwas falsch machen, dann sagen Sie also, es ist halt so.
Autor: md / © EU-Schwerbehinderung