Deutsches Kinderhilfswerk: Neuberechnung der Hartz-IV-Regelbedarfe für Kinder und Jugendliche realitätsfremd
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Das Deutsche Kinderhilfswerk kritisiert anlässlich der heutigen Bundestagsdebatte über die Neuberechnung der Hartz-IV-Regelbedarfe die neuen Regelsätze für Kinder und Jugendliche als realitätsfremd und unzureichend. Aus Sicht der Kinderrechtsorganisation fehlt nach wie vor ein politisches Gesamtkonzept, mit dem die Situation der von Armut betroffenen Kinder und Jugendlichen in Deutschland nachhaltig verbessert wird.
"Durch die Neuberechnung der Hartz-IV-Regelsätze für Kinder und Jugendliche wird Kinderarmut in Deutschland nicht beseitigt, sondern sie wird sogar zementiert. Die vorgesehenen Erhöhungen sehen nur auf den ersten Blick gut aus, bei genauerem Hinsehen sind sie ein armutspolitischer Skandal. 8,92 Euro monatlich für Kinderschuhe, 1,75 Euro für Toilettenpapier und Papiertaschentücher oder 3,92 Euro für einen Friseurbesuch: Diese Einzelposten zeigen, dass die Regelsätze mit der Realität so gut wie nichts zu tun haben. Und dass für ein Fahrrad, eine Uhr oder ein Musikinstrument kein einziger Cent vorgesehen ist, spricht Bände", betont Holger Hofmann, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerkes.
"Eine grundsätzliche Verbesserung der Lebenssituation von Armut betroffener Kinder und Jugendlicher benötigt eine grundlegende Reform der Regelsatzberechnung. Es sollte bedarfs- und realitätsgerecht ermittelt werden, was Kinder brauchen. Referenz muss dabei ein gutes Aufwachsen und die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Teilhabe aller Kinder und Jugendlichen am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben sein", so Hofmann weiter.
Das Deutsche Kinderhilfswerk fordert Bund, Länder und Kommunen auf, der Bekämpfung von Kinderarmut in Deutschland endlich die Aufmerksamkeit zu schenken, die sie verdient, und in der Konsequenz wirksame Maßnahmen zur Förderung armer Kinder und ihrer Familien zu ergreifen. So zeigen die vor kurzem von der Bertelsmann Stiftung vorgelegten Zahlen zur Kinderarmut in Deutschland sehr eindrücklich, dass es nach wie vor nicht gelingt der anhaltend hohen Kinderarmut in Deutschland etwas entgegen zu setzen. Zudem ist angesichts der Corona-Krise damit zu rechnen, dass die Zahl der von Armut betroffenen Kinder und Familien noch ansteigen wird.
Das Deutsche Kinderhilfswerk tritt für die Einführung einer bedarfsgerechten Kindergrundsicherung nach dem Modell des Bündnisses KINDERGRUNDSICHERUNG ein, die den bestehenden Familienlastenausgleich ablöst, bestehende kindbezogene Leistungen bündelt und das soziokulturelle Existenzminimum von Kindern unabhängig von den finanziellen Möglichkeiten der Familie, der Familienform und dem bisherigen Unterstützungssystem bedarfsgerecht gewährleistet. Die Kindergrundsicherung ist eine nachhaltige Lösung, die gesellschaftliche Teilhabe von Kindern und Jugendlichen eigenständig und unabhängig von der Hartz-IV-Gesetzgebung absichert.
Die Grünen fordern eine Reform der Regelbedarfsermittlung in der Grundsicherung. In einem Antrag Drucksache: 19/23124 kritisiert sie, die derzeitige Methode zur Ermittlung der Bedarfe erfülle nicht den Anspruch, ein würdevolles Leben und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. "Seit Jahren rechnet die Bundesregierung die Regelsätze klein und drückt sie nach unten. Dadurch werden die Menschen von der gesellschaftlichen Wohlstandsentwicklung abgekoppelt", schreiben die Grünen.
Sie verlangen unter anderem, das derzeit praktizierte Mischverfahren aus Statistik- und Warenkorbmethode zugunsten eines methodisch konsistenten Verfahrens abzulösen. Dabei soll auf die Streichung einzelner Ausgabenpositionen verzichtet werden und die Regelbedarfe von Haushalten abgeleitet werden, deren Einkommen zuverlässig über der Sozialhilfeschwelle liegt. Ferner fordert die Fraktion, die Ausgabenpositionen anders zu typisieren und einen Teil der Bedarfe außerhalb des Regelsatzes abzudecken.
Zudem kritisieren die Linken die Regelbedarfsermittlung in der Grundsicherung. Die Linke fordert ein Ende der "Rechentricks" bei der Berechnung der Regelbedarfe in der Grundsicherung für Arbeitssuchende. In einem Antrag Drucksache 19/23113 kritisiert die Fraktion, dass die Regelsätze seit Jahren bewusst kleingerechnet würden und viele Ausgaben gestrichen worden seien, weil sie angeblich nicht regelbedarfsrelevant seien. "Dabei basieren die Beträge ohnehin nur auf den sparsamen Ausgaben von Menschen mit den niedrigsten Einkommen, und selbst die Ausgaben der verdeckt Armen fließen in die Beträge ein", heißt es in dem Antrag.
Die Linke verlangt, die Vorgaben zur Ermittlung der Regelbedarfe gesetzlich zu ändern. Dabei soll unter anderem der Regelbedarf für Erwachsene den tatsächlichen Ausgaben der unteren 20 Prozent der Alleinlebenden (nach Einkommensschichtung der Haushalte) entsprechen. Haushalte im Bezug von SBG-II- beziehungsweise SGB-XII-Leistungen (Zweites und Zwölftes Sozialgesetzbuch; Grundsicherung und Sozialhilfe) ohne weiteres Einkommen und Menschen mit einem Einkommen unterhalb der Grundsicherungsschwelle sollen bei den Berechnungen ausgeschlossen werden. Der Regelbedarf für Erwachsene soll demnach 658 Euro ab 2021 betragen, schreibt Die Linke. Ferner sollen die Kosten für Strom vollständig übernommen und die Regelbedarfsstufen 2 und 3 abgeschafft werden.
Die Linke verlangt außerdem, auch das Existenzminimum von Kindern und Jugendlichen neu zu ermitteln und eine Kindergrundsicherung einzuführen. Dazu sollen unter anderem ein höheres Kindergeld von 328 Euro pro Kind und verschiedene Zuschläge für besondere Bedarfe gehören.
Autor: dm / © EU-Schwerbehinderung