Behindert und kein Schutz am Arbeitsplatz - Teilhabe laut Bundesteilhabegesetz? (BTHG)
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Menschen mit Behinderung sollten gerade an ihrem Arbeitsplatz geschützt sein. Uns erreichte eine Darstellung eines betroffenen Mannes, die allerdings den Gedanken des besonderen Schutzes behinderter Menschen am Arbeitsplatz, in Frage stellt. Bereits im Dezember 2019 haben wir den hier dargestellten Arbeitgeber um Stellungnahme gebeten und bis heute keine Antwort erhalten.
Hier nur der Erfahrungsbericht eines betroffenen:
Ich möchte Euch hier mal schildern, wie es um die Rechte schwerbehinderter Arbeitnehmer in der Praxis bestellt ist. Bei meinem Arbeitgeber handelt es sich um einen internationalen Konzern, der im Norden von Köln Kleinwagen produziert. Ich bin Mitte 50, seit Dezember 2013 schwerbehindert (GdB 50) und arbeite seit 2001 bei den Auto-Werken in Köln als gelernter Elektriker in der Instandhaltung. Im Januar 2017 habe ich eine neue Hüfte erhalten. Nach der Reha und einer entsprechenden Zeit der Heilungsbewährung wollte ich im Mai 2017 meine Tätigkeit als Instandhalter bei den Auto-Werken wieder aufnehmen. Im Rahmen eines Intergrationsmeetings wurde mir am Freitag den 05.05.2017 von den Auto-Werken mitgeteilt, dass ich nicht arbeitsfähig sei und mir von Montag, den 08.05.2017 an kein Entgelt gezahlt werde.
Es wurde mir Hausverbot erteilt und die Auto-Werke zahlten mir tatsächlich kein Gehalt mehr. Es wurde mir nahegelegt, doch Lohnersatzleistungen zu beantragen. Gekündigt wurde mir von den Auto-Werken jedoch NICHT. Ich war also vom darauffolgenden Montag an in ungekündigter Stellung, aber ohne Einkommen.
Die Auto-Werke übten hier enormen Druck in Richtung Krankschreibung aus. Auch eine Frühverrentung ist sicherlich im Sinne der Auto-Werke. Eine Krankschreibung war für mich in dieser Situation aber keine Option, da ich ja arbeitsfähig war und mir dies von der Reha-Klinik und dem behandelnden Orthopäden auch bescheinigt worden war. Also habe ich mich arbeitslos gemeldet obwohl ich nicht gekündigt war. Die Zahlung von Arbeitslosengeld erfolgte dann ab August 2019, so dass ich ca. drei Monate ohne Einkommen war.
Die bei Schwerbehinderten normalerweise erforderliche Zustimmung des Integrationsamtes für derartige Vorgänge war hier nicht nötig, da Vorraussetzung hierfür ist, dass der Arbeitgeber eine Kündigung ausspricht. Das nach Abschluss des Verfahrens informierte Integrationsamt sah auch keine Möglichkeit meine Interessen zu schützen, ausser eben durch einen Prozess vor dem Arbeitsgericht. Hier nutzen die Auto-Werke die Lücken im Arbeitsgesetz schon geschickt aus.
Da ich Gewerkschaftsmitglied in einer großen Gewerkschaft war, führte mein erster Weg natürlich zur Gewerkschaft in Köln. Die Gewerkschaft konnte den versprochenen Rechtsbeistand aber nur in unzureichender Form bieten. Beide Rechtsanwälte der Gewerkschaft in Köln erkrankten nach Angaben der Gewerkschaft kurz nacheinander längerfristig. Der dritte Rechtsanwalt, der sich dann mit meinem Fall befasste, war augenscheinlich mit der Vertretung seiner Kollegen überfordert.
Natürlich traten hierdurch Verzögerungen in der Bearbeitung meines Falles durch die Rechtabteilung der Gewerkschaft auf. Letztendlich musste ich auf eigene Rechnung einen Anwalt mit meiner Vertretung beim Arbeitsgericht beauftragen. Einnahmen hatte ich - wie geschildert - zu diesem Zeitpunkt keine.
Der Betriebsrat der Auto-Werke (er besteht zu über 90% aus Gewerkschaftsmitgliedern) ist nach meinem "Rauswurf" total abgetaucht. Er ist bis heute für mich nicht erreichbar, weder telefonisch noch über E-Mail/WhatsApp erfolgt irgendeine Reaktion. Dies gilt im Wesentlichen auch für die Schwerbehindertenvertretung.
Im anschließenden Verfahren vor dem Arbeitsgericht in Köln wurde mein Anspruch auf eine Weiterbeschäftigung als Instandhalter bestätigt. Dieses Verfahren endete erst nach zweijähriger Dauer im April 2019. Wozu in der ersten Instanz drei Termine und auch drei verschiedene Richter erforderlich waren. Die Auto-Werke hatten hier auch keine Hemmungen vor Gericht eine Reihe von Unwahrheiten vorzubringen. Seit Anfang 2018 arbeite ich in einem anderen Unternehmen und übe dort eine ähnliche Tätigkeit aus wie vorher bei den Auto-Werken in der Instandhaltung. Ich hatte also von 2018 bis 04/2019 zeitgleich zwei gültige Arbeitsverträge. Wobei der eine Arbeitgeber mich uneingeschränkt beschäftigte und der andere - die Auto-Werke GmbH - behauptete, ich sei nicht arbeitsfähig. Und das bei annähernd gleichen Tätigkeiten.
Als Resümee dieser Vorfälle bleibt bei mir ein tief erschüttertes Vertrauen in die Schutzrechte von Schwerbehinderten. Die gegenwärtig geltenden gesetzlichen Vorschriften des SGB IX zum Schutz schwerbehinderter Arbeitnehmer bauen darauf auf, dass der Arbeitgeber seiner besonderen Fürsorgepflicht Schwerbehinderten gegenüber nachkommt. Ist das nicht der Fall, dann hat der Arbeitnehmer wenig Möglichkeiten hiergegen anzugehen. Da wird das Sozialgesetzbuch schnell zu einem zahnlosen Tiger. Häufig führt der Weg dieser gesundheitlich eingeschränkten Arbeitnehmer dann direkt in die Frühverrentung.
Was bleibt auch sonst für ein Ausweg? Die Verfahrensdauer bei den Arbeitsgerichten ist deutlich länger als die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld. Über Verfahrensdauern beim Landesarbeitsgericht (2. Instanz) darf man gar nicht nachdenken. Das finanzielle Risiko in dieser Zeit in Hartz 4 abzurutschen ist somit für den Arbeitnehmer erheblich. Wenn der Schwerbehinderte dann noch von seiner Gewerkschaft bzw. dem Betriebsrat im Stich gelassen wird, hat er zusätzlich die Prozesskosten und in jedem Fall seine eigenen Anwaltskosten (in meinem Fall ca. € 5500,-) zu stemmen.
Ich habe meinem neuen Arbeitgeber nicht über meinen Status als Schwerbehinderter informiert. Es ist eben zu einfach die bestehenden Schutzrechte auszuhebeln. Ich sehe auch hier den Gesetzgeber in der Verantwortung, wirkungsvolle Schutzregelungen für schwerbehinderte Arbeitnehmer zu schaffen, die es den Arbeitgebern nicht gar so leicht machen, die derzeitige Schutzfunktion auszuhebeln, die mit der Beteiligung des Integrationsamts bei Kündigungen von Schwerbehinderten zur Zeit besteht.
PS: Die Frage, inwiefern die Auto-Werke ihre Fürsorgepflicht bewusst und systematisch verletzt haben, wurde im Rahmen des Gerichtsverfahrens nicht behandelt. Die Vorgehensweise der Auto-Werke lässt allerdings ein durchaus geplantes und systematisches Vorgeben vermuten. Immerhin waren mit Herrn M. (Vorarbeiter in der Y-Halle) , Herrn G. (Kostenstellenleiter im Werkzeugbau) Herrn Z. und Herrn A. (Instandhaltungsleitung) Führungskräfte aus der Instandhaltung , der Endmontage und des Werkzeughaus, Führungskräfte aus dem "Disability-Management" (Frau G. und Herr B.) Führungskräfte des Auto-Gesundheitsdienstes (Herr Z.) und Führungskräfte aus der Personalabteilung (Frau A.) beteiligt. Das Treiben dieser Personen wurde noch flankiert durch die Zustimmung von einem Vertreter des Betriebsrats und der Schwerbehindertenvertretung.
Die Unwahrheiten, die die Auto-Werke dann im Arbeitsgerichtsverfahren im Einzelnen zum Besten gegeben haben, erhärten den Verdacht eines systematischen Vorgehens. Kenntnis von diesem Vorgang haben auch höherrangige Führungskräfte der Auto-Werke wie z.B. Herr H. (Geschäftsführer der Auto-Werke) und der Chef ..... Herr C. (Aufsichtsratsmitglied ) sollte ebenfalls über diesen Vorgang informiert sein. Niemand aus dieser Führungsriege hat sich von diesem Vorgehen gegen einen schwerbehinderten Mitarbeiter distanziert. Man kann also vermuten, dass auch höchste Führungskräfte in den Auto-Werken diese willkürliche Ausgrenzung von Schwerbehinderten billigen und sogar gutheißen. Dieses vermeintlich zielgerichtete und systematische Vorgehen dieser Führungskräfte mit der Absicht einen Schwerbehinderten auszugrenzen bzw. ihm seinen Arbeitsplatz zu nehmen, könnte auch als Bossing bezeichnet werden. Bossing erfordert allerdings, dass diese Massnahmen über einen längeren Zeitraum vorgenommen werden. Hiermit halten sich die Auto-Werke aber nicht auf. Nein, die Auto-Werke teilen einfach mit, dass sie ab sofort kein Gehalt mehr zahlen und der schwerbehinderte Mitarbeiter sich gefälligst um Lohnersatzleistungen bemühen soll.
Hierfür habe ich noch keinen prägnanten Begriff gefunden. Man könnte es auch als Mobbing in seiner simpelsten und zugleich brutalsten Form bezeichnen, das unmittelbar zum Ziel führt: Dem Ausschluss eines Schwerbehinderten aus dem Unternehmen. Die Vertreter des gleichen Unternehmens fühlen sich aber ungerecht behandelt, wenn das Stadtoberhaupt, Frau R., einige der Auto-Dienstwagen durch E-Autos von einem Hersteller in Stuttgart ersetzen will. Hier erhebt dieses Unternehmen einen Anspruch auf Solidarität und Loyalität, der den eigenen Mitarbeitern in keiner Weise entgegen gebracht wird.
Anm. Redaktion: Namen wurden von der Redaktion geändert
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