Ermittlung von Regelbedarfen nach dem Zweiten und dem zwölften Buch Sozialgesetzbuch
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Sozialleistungen nach SGB II (ALG II) oder SGB XII (Grundsicherung für Rentnerinnen und Rentner, Menschen mit Behinderungen und Menschen mit einer erwerbsgeminderten Rente) kennt das Prozedere der Ermittlung, wie hoch der persönliche Regelbedarf ist. Der allgemeine Regelbedarf, also die Höhe der Grundsicherung, wird jedes Jahr neu von der Bundesregierung berechnet. Schon in der Vergangenheit ist diese Berechnung immer wieder auf Kritik gestoßen und die Bundesregierung muss sich den Vorwurf der "Kleinrechnung" des Grundbedarfs vorwerfen lassen. Das sind Vorwürfe, die nicht nur innerpolitisch statt finden, auch die UN (Vereinten Nationen) hat die Bundesrepublik bereits für ihre geringen Regelsätze kritisiert ( wir berichteten ). Die Bundestags- Fraktion "Die Linke" hat daher eine entsprechende Anfrage an die Bundesregierung gestellt, die jetzt seitens der Bundesregierung mit der Drucksache 19/19431 beantwortet wurde.
Ein Bündnis von Wohlfahrtsverbänden und Gewerkschaften hat am 10. März 2020 ein Schreiben an den Bundesminister für Arbeit und Soziales Hubertus Heil veröffentlicht: Spaltungen verhindern, Zusammenhalt stärken – kein „Weiter-So“ bei den Regelsätzen! Das sich aus den Forderungen irgend welche Verbesserungen für die Berechnung der Regelsätze ergeben wird, ist eher nicht zu erwarten. Aus der Antwort der Bundesregierung wird deutlich, dass die Ermittlung der Regelbedarfe nicht aus den mittleren Einkommensgruppen erfolgt, sondern hier als Ermittlungsgröße die unteren Einkommensgruppen genommen werden: "Grundlage für die Ermittlung von Regelbedarfen sind nach § 28 Absatz 2 Satz 2 SGB XII die Verbrauchsausgaben unterer Einkommensgruppen." Dabei scheint es von keiner Relevanz zu sein, ob die "unteren Einkommensgruppen" über ein Einkommen verfügen, dass die Teilhabe an der Gesellschaft vollumfänglich sicher stellt. Die Bundesregierung gibt sogar zu verstehen: "Würde eine Regelbedarfsermittlung hingegen auf der Grundlage von Sonderauswertungen mit Haushalten aus der „Einkommensmitte“ erfolgen, dann hätte dies zwangsläufig eine Anhebung des soziokulturellen Existenzminimums bis in den Bereich des Durchschnittseinkommens zur Folge. Zielgröße eines soziokulturellen Existenzminimums kann jedoch nicht das Durchschnittseinkommen sein; dies ist auch verfassungsrechtlich nicht geboten. " - Sind also jene Einkommensgruppen die Grundlage, die meist bereits durch Sozialleistungen aufstocken müssen oder sogar von Hilfsorganisationen wie "Die Tafel" abhängig sind? Nicht ganz, denn diese Menschen werden in der Berechnung der Regelbedarfe nicht mit berücksichtigt. Das "Kleinhalten" existenzieller Bedarfe bestätigt sogar das Bundesverfassungsgericht: „Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Artikels 20 Absatz 1 GG sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind.“
Es scheint bisher niemand hinterfragen zu wollen, ob genau das "soziokulturellen Existenzminimum" überhaupt erreicht wird, denn seitens der Bundesregierung wird der Regelbedarf offensichtlich künstlich niedrig gehalten. Katja Kipping (Die Linke) 2016 zum soziokulturellem Existenzminimum": „Soziokulturelles Existenzminimum“ meint, dass der Mensch nicht nur körperlich überleben soll, sondern auch als soziales Wesen überleben muss. Das heißt eben, dass man nicht nur Geld zum Essen braucht, sondern auch, um Freunde zu treffen, zu einem Verein zu fahren oder sich den Bezug einer Tageszeitung leisten zu können. Beim soziokulturellen Existenzminimum handelt es sich um ein Grundrecht. Hier ist also besondere Sorgfalt gefragt.
"Beim soziokulturellen Existenzminimum handelt es sich um ein Grundrecht" - Das "missachten des soziokulturellen Existenzminimum" spiegelt sich auch im UN-Bericht vom 27. November 2018 wieder denn unter Punkt 46 stellt die UN dar: "Der Ausschuss ist besorgt darüber, dass die Höhe der sozialen Grundleistungen nicht ausreicht, um den Empfängern und ihren Familien einen angemessenen Lebensstandard zu ermöglichen. Sie ist auch besorgt über die Berechnungsmethode des Existenzminimums, die auf einer Stichprobenerhebung über die Ausgaben der Haushalte mit dem niedrigsten Einkommen beruht und einige Grundkosten ausschließt". Als Empfehlung steht im Bericht der UN: "Der Ausschuss empfiehlt dem Staatsstaat, die Höhe der grundsozialen Leistungen durch Verbesserung der Berechnungsmethoden des Existenzminimums im Lichte des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Juli 2014 zu erhöhen. "
Ob dieser Bericht überhaupt politisch verwertet wurde, ist nicht bekannt und sogar in Frage zu stellen denn das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, war bis heute zu keiner Stellungnahme bereit.
Bereits 2016 Kipping im Bundestag deutlich: "Wenn man nur die offensichtlichen Tricks weglassen würde, müsste der Regelsatz bei mindestens 560 Euro liegen." - Bereits 2013 wurde in einer Expertise die deutlich gemacht, die unter der Federführung von Katja Kipping entstand, wie das Existenzminimum kleingerechnet wird.
2021 sollen die Regelbedarfe neu ermittelt werden. Wie diese aber die aktuelle Lebenssituation widerspiegelt macht sich hier deutlich: "Die Ergebnisse der aktuellen EVS 2018 liegen mittlerweile beim Statistischen Bundesamt vor. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat auf Grundlage der EVS 2018 für die gesetzliche Neuermittlung der Regelbedarfe Sonderauswertungen beim Statistischen Bundesamt in Auftrag gegeben (Auftrag nach § 28 Absatz 3 SGB XII), die denjenigen aus dem letzten Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz entsprechen. Ein Inkrafttreten der neu ermittelten Regelbedarfe kann somit zum 1. Januar 2021 erfolgen und sollte nicht verzögert werden.", so steht es in der Ausschussdrucksache. Ein Beleg dafür, dass Menschen die auf Grundsicherung angewiesen sind, nie eine Grundsicherung erhalten, die den aktuellen Bedarfen entspricht. Die zum 1. Januar 2021 ermittelten Bedarfe werden damit weder die aktuellen Preisentwicklungen noch die erschwerte Lage der Corona-Krise berücksichtigen. Selbst die Preissteigerungen, in Folge der Corona-Krise, werden im Regelbedarf nicht berücksichtigt, so dass gerade Menschen am Existenzminimum lebend, mit noch weniger Geld auskommen müssen.
Weiter fällt auf, dass die Politik sich immer noch nicht damit befasst, dass wir uns in einem gesellschaftlichem Wandel befinden. Mit der zunehmenden Digitalisierung, beispielsweise im Gesundheitswesen, wird das Smartphone zum unabdingbaren Werkzeug für jeden Bürger*In in Deutschland. Diese Geräte haben eine allgemeine Lebenszeit von 2 Jahren, da nach 2 Jahren der Support für Sicherheitsupdates entfällt. Da jeder Bürger*In zur Datensicherheit verpflichtet ist, die Neuanschaffung für Menschen mit Grundsicherung aus dieser finanziert werden müsste (was praktisch der Regelsatz nicht abdeckt) werden damit indirekt diese Menschen aus der Digitalisierung die seitens der Bundesregierung vorangetrieben wird, ausgeschlossen.
Autor: kk / © EU-Schwerbehinderung