Lauterbach würdigt Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin
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Die Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin hat ihren Abschlussbericht an den Bundesminister für Gesundheit, Prof. Dr. Karl Lauterbach, den Bundesminister der Justiz, Dr. Marco Buschmann, und die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Lisa Paus, übergeben.
Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach: „Die Kommission hat hervorragende Arbeit geleistet. Ihre wissenschaftliche Expertise ist eine wesentliche Hilfe, um die komplexen ethischen Fragen zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin zu beantworten. Am Ende braucht es dafür aber einen breiten gesellschaftlichen und natürlich auch parlamentarischen Konsens. Danke der Kommission für die Arbeit und für die Anregungen zur Debatte.“
Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann: „Inwieweit es möglich wäre, den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuchs zu regeln, ist eine äußerst anspruchsvolle rechtliche, aber vor allem auch ethisch äußerst sensible und bedeutsame Frage. Ich danke der Kommission dafür, dass sie sich dieser Herausforderung gestellt hat und uns heute einen unabhängigen und wissenschaftlich fundierten Bericht übergibt. Als Bundesregierung werden wir den Bericht gründlich auswerten, insbesondere die verfassungs- und völkerrechtlichen Argumente werden wir prüfen. Diesen Auftrag nehmen gerade wir in unserem Hause als Verfassungsressort sehr ernst. Das gebietet uns nicht zuletzt das Verantwortungsbewusstsein für den sozialen Frieden in unserem Land.“
Bundesfamilienministerin Lisa Paus: „Die Kommission hat sich ein Jahr lang ehrenamtlich mit den Fragen der Bundesregierung zum Schwangerschaftsabbruch und im Bereich Fortpflanzungsmedizin beschäftigt. Ich danke den 18 Expertinnen und Experten sehr für ihre intensive Arbeit. Ihre Empfehlungen bieten eine gute Grundlage für den nun notwendigen offenen und faktenbasierten Diskurs. Denn diesen braucht es bei den Themen Schwangerschaftsabbruch und unerfüllter Kinderwunsch – wir alle wissen, wie emotional diese sein können.“
Die Empfehlungen der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin stellen einen wichtigen Beitrag zur Debatte über ethische und rechtliche Fragen im Bereich der Reproduktionsmedizin dar. Die Anerkennung seitens der Bundesminister und politischen Fraktionen unterstreicht die Relevanz und den Ernst der Thematik.
In der Diskussion um Schwangerschaftsabbrüche und Fortpflanzungstechnologien müssen die Rechte von Menschen mit Behinderungen auf Selbstbestimmung und Gleichbehandlung gewährleistet werden. Dies umfasst den Zugang zu Barrierefreie Informationen, Beratung und medizinischer Versorgung sowie den Schutz vor Diskriminierung.
Kritiker könnten darauf hinweisen, dass bestimmte Maßnahmen, wie beispielsweise die Legalisierung der Eizellspende oder die Regulierung von Leihmutterschaft, potenziell negative Auswirkungen auf Menschen mit Behinderungen haben könnten. Es ist daher wichtig, diese Aspekte bei der Entwicklung von Richtlinien und Gesetzen zu berücksichtigen.
Es ist jedoch anzuerkennen, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen kontrovers diskutiert werden können, da sie verschiedene gesellschaftliche und ethische Standpunkte berühren. Kritiker könnten argumentieren, dass bestimmte Empfehlungen nicht weitreichend genug gehen oder ethische Bedenken nicht ausreichend adressieren.
Insgesamt stellen die Empfehlungen einen Ausgangspunkt für eine weiterführende Diskussion dar, die eine breite Palette von Perspektiven berücksichtigen sollte. Es liegt nun an den politischen Entscheidungsträgern und der Gesellschaft, die Empfehlungen eingehend zu prüfen und einen sorgfältigen Dialog zu führen, um angemessene und ausgewogene Lösungen zu finden.
Die Kommission empfiehlt:
- Schwangerschaftsabbrüche in der Frühphase der Schwangerschaft sollten rechtmäßig sein. Für Abbrüche in der mittleren Phase der Schwangerschaft steht dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zu. Außerdem sollten wie bisher Ausnahmeregelungen vorgesehen sein, zum Beispiel bei einer Gesundheitsgefahr der Schwangeren.
- Die Eizellspende könnte unter engen Voraussetzungen ermöglicht werden.
- Aufgrund ethischer, praktischer und rechtlicher Überlegungen sollte die altruistische Leihmutterschaft verboten bleiben oder lediglich unter sehr engen Voraussetzungen (z.B. nahes verwandtschaftliches oder freundschaftliches Verhältnis zwischen Wunscheltern und Leihmutter) ermöglicht werden.
Hintergrund
Die Kommission wurde als interdisziplinär zusammengesetztes Gremium berufen und hatte sich am 31. März 2023 konstituiert. Die Kommission bestand aus 18 Expertinnen und Experten unter anderem aus den Fachbereichen Medizin, Psychologie, Soziologie, Gesundheitswissenschaften, Ethik und Recht.
In zwei Arbeitsgruppen sollten Möglichkeiten der Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches sowie Möglichkeiten zur Legalisierung der Eizellspende und der altruistischen Leihmutterschaft geprüft werden.
Maria Klein-Schmeink und Ulle Schauws zum Abschlussbericht der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin
Zur Vorstellung der Ergebnisse der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin erklären Maria Klein-Schmeink, Stellvertretende Fraktionsvorsitzende (Grüne), und Ulle Schauws, Sprecherin für Frauenpolitik (Grüne):
Die Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin hat am Montag ihren Abschlussbericht vorgestellt. Dieser Abschlussbericht stellt das Ergebnis eines einjährigen Prozesses dar, in dem die interdisziplinäre, plural zusammengesetzte Gruppe aus unabhängigen Sachverständigen intensiv und ehrenamtlich gearbeitet hat. Für dieses Engagement gilt der Kommission unser ausdrücklicher Dank!
Das Votum der Kommission zur Regulierung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuches in der Arbeitsgruppe 1 ist einstimmig ergangen, was, vor dem Hintergrund der Pluralität der Kommissionsmitglieder, das Gewicht dieser Empfehlung als starkes Signal noch einmal unterstreicht.
Es geht um eine ethisch bedeutsame Frage, mit der alle sorgsam umgehen sollten. Zugleich haben sich die gesellschaftlichen Verhältnisse seit der Gesetzgebung von vor 30 Jahren weiterentwickelt.
Die grüne Position ist bekannt: Wir wollen das Selbstbestimmungsrecht von Frauen stärken und haben uns schon lange für eine differenzierte Regelung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuches stark gemacht.
Gleichzeitig muss das Schutzniveau für das werdende Leben je nach Phase der Schwangerschaft gewahrt werden. In dieser Haltung sehen wir uns grundsätzlich durch die Empfehlung der Kommission bestätigt. Wir teilen die Einschätzung der Kommission, dass Abbrüche in der fortgeschrittenen Phase der Schwangerschaft, wenn der Fötus eigenständig lebensfähig ist, grundsätzlich nicht erlaubt sein sollen. Auch nicht selbstbestimmte oder unsichere Abbrüche müssen weiter unter Strafe stehen.
Der Abschlussbericht der Kommission ist aufgrund seiner Ausgewogenheit auch Auftakt für die dringend notwendige Debatte über die Verbesserung der Versorgungslage für ungewollt Schwangere, da die Versorgungssituation bei Schwangerschaftsabbrüchen nicht mehr flächendeckend gegeben ist. Darauf verweist die gerade vorgelegte ELSA-Studie erstmalig und unmissverständlich.
Frauen müssen sich in einer so belastenden Situation auf eine gute und erreichbare Versorgung verlassen können. Die Kommission gibt wichtige Hinweise zur Verbesserung der medizinischen Versorgung und Verhütung, die ernsthaft diskutiert werden müssen. In jedem Fall muss die Versorgung und die Selbstbestimmung von ungewollt Schwangeren in Deutschland langfristig verbessert werden.
Die Kommission hat auch das Thema Beratung analysiert. Wir haben uns als Grüne schon lange für ein Recht auf Beratung stark gemacht. Wie dieses genau ausgestaltet werden kann, wollen wir intensiv beraten. Der Vorschlag der Kommission hierzu einen Rechtsanspruch vorzusehen, zeigt einen gangbaren Weg auf. Für uns ist in jedem Fall klar: es muss sichergestellt sein, dass ungewollt Schwangere die Beratung und Unterstützung erfahren, die sie brauchen.
Alle Fraktionen, auch die Union, tragen politische Verantwortung dafür, dass die Versorgungslücke geschlossen und dem erheblichen Rückgang der Ärztinnen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen können, entgegengewirkt wird.
Die Versuche in der letzten Woche, die Kommission und ihre Mitglieder zu diskreditieren, noch bevor die Ergebnisse und die zugrundeliegenden Erwägungen vollständig bekannt und von der Kommission erläutert worden sind, waren völlig unangemessen und werden der Bedeutung dieses Themas nicht gerecht.
Durch die Ergebnisse der Arbeitsgruppe 2 der Kommission zu den Themen Leihmutterschaft und altruistische Eizellspende werden eine Reihe von ethischen, rechtlichen und praktischen Fragen aufgeworfen, die eine breite gesellschaftliche Debatte erfordern. Wir danken der Kommission für ihre differenzierten Überlegungen und werden diese gewissenhaft prüfen.
Der Katholische Deutsche Frauenbund e.V. (KDFB) warnt vor den Konsequenzen der heute vorgestellten Empfehlungen der Regierungskommission „Reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“, insbesondere im Kontext von Schwangerschaftskonflikten. Aus Sicht des KDFB ist eine ausschließliche Betrachtung des Konflikts aus Perspektive der reproduktiven Selbstbestimmung der Frau unzureichend. „Das Selbstbestimmungsrecht der Frau ist ein enorm hohes Gut. Es gilt, dieses Recht mit den Rechten des ungeborenen Kindes in Balance zu bringen“, so KDFB-Vizepräsidentin Monika Arzberger.
Die Verbindung von Fristen- und Beratungsmodell ist für den KDFB der wesentliche Schlüssel dafür, ein verfassungsrechtliches Gleichgewicht sicherzustellen. Er plädiert dafür, es verpflichtend beizubehalten. Der KDFB warnt vor dem von der Kommission angedachten Modell eines abgestuften Lebensrechtes, das den Beginn des Lebens abhängig vom Wunsch nach einer Schwangerschaft definieren und somit Abstufungen bei der Würde des Menschen vornehmen würde. Ein solches Argumentationsmodell könnte auf andere gesellschaftliche Bereiche übertragen werden, mahnt Arzberger.
Der vorgestellte Bericht unterstreicht die Notwendigkeit, die Versorgungslage schwangerer Frauen zu verbessern, was der KDFB befürwortet. In der empfohlenen Abschaffung des §218 StGB sieht der KDFB jedoch keine Lösung. Er fordert stattdessen die konsequente Umsetzung der bestehenden Gesetze. So ist bspw. ein ungehinderter Zugang zu Einrichtungen, in denen Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden, zu gewährleisten. Der KDFB ist der Ansicht, dass das angedachte Gesetz zur Verhinderung von Belästigungen vor Abtreibungskliniken Frauen im Schwangerschaftskonflikt besser unterstützen und vor Stigmatisierung schützen würde als die Streichung des §218.
Der KDFB befürchtet, dass die Themen Leihmutterschaft und Eizellspende, zu denen der Bericht ebenfalls Empfehlungen enthält, aufgrund der Debatte um den §218 in der öffentlichen Diskussion zu wenig Beachtung finden und Gesetzesänderungen zu diesen Themen ohne ausreichende gesellschaftliche Auseinandersetzung erfolgen könnten. Er warnt in diesem Zusammenhang vor der möglichen Instrumentalisierung von Frauen sowie vor den noch nicht ausreichend erforschten langfristigen Risiken. Monika Arzberger betont: „Als Frauenverband stehen wir für den Schutz der Autonomie und des Wohlergehens aller Frauen auch im Kontext der Reproduktionsmedizin ein. Wir sprechen uns zum jetzigen Zeitpunkt klar für die Beibehaltung der bestehenden Gesetzgebung aus.“
Der KDFB fordert eine differenzierte Auseinandersetzung mit den Themen, die von der Kommission behandelt wurden und appelliert an alle demokratischen Parteien, Organisationen und Verbände, sich sachlich in den Dialog einzubringen.