Europaabgeordnete zur Überwindung des Behindertenwerkstattsystems (WfbM)
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Bei Besuchen der südniedersächsischer Werkstätten für Menschen mit Behinderung (WfbM), hatte die niedersächsische Europaabgeordnete Katrin Lagensiepen mit den Geschäftsführungen und Werkstatträten über das Ende des Werkstattsystems und die rechtmäßige Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) gesprochen.
Der Bericht iIm Sozialausschuss des Europaparlaments die Behindertenwerkstätte auslaufen zu lassen oder mindestens tiefgreifend zu reformieren, erfuhr eine große Reaktion. So haben die Werkstätte in Deutschland auf die Forderung eher undurchsichtig reagiert. Die Europaabgeordnete hatte Behindertenwerkstätte in Deutschland besucht um die Reaktion besser einschätzen zu können und hatte damit auch ihren nächsten Schritt zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) angestoßen. Am 7. April war sie dafür in Südniedersachsen bei zwei Werkstätten zu Besuch: den Harz-Weser-Werken und den Göttinger Werkstätten.
Dabei hatten die Gespräche gezeigt wie groß der Handlungsdruck sei, einen inklusiv gestalteten, offenen Arbeitsmarkt für alle Menschen zu ermöglichen. So sei die Arbeit der Werkstätten komplex und divers. Finanzielle und strukturelle Anreize würden seit Jahrzehnten die Inklusion von Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt verhindern, jenseits der abgeschotteten Werkstätten, teilt Langensiepen mit. In den beiden besuchten Behindertenwerkstätten sei weniger als 1 Prozent der beschäftigten Rehabilitand:innen auf „Außenarbeitsplätzen“ im Einsatz. Auch werde das "Budget für Arbeit" nur im geringen Umfang genutzt, teilte die Europaabgeordnete mit. So fehle es generell an Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt, die die besonderen Bedürfnisse für Menschen mit Behinderung berücksichtigen, so die Geschäftsführung. Als beste Lösung würde sich die Werkstätte sehen, "um den Menschen mit Behinderung einen strukturierten Alltag mit Arbeit und Betreuung zu bieten", heißt es.
Die Europaabgeordnete Katrin Langensiepen kommentierte nach ihrem Besuchen die Situation:
„Dieses Modell ist schon lange nicht mehr rechtskonform. Die UN-BRK sieht in § 27 vor, dass Menschen mit Behinderung das Recht haben, Arbeit auf dem offenen, inklusiven und für alle Menschen zugänglichen Arbeitsmarkt zu erfüllen. Die Beschäftigungen in den Werkstätten sind das nicht.
Gleichzeitig erschwert das seit Jahren gewachsene, eng vernetzte System von Auftraggeber:innen aus Industrie und Produktion mit den Werkstätten die Förderung von inklusiven Arbeitsplätzen genau in diesen Bereichen.
Die konkurrenzlos günstigen Arbeitsbedingungen in den Werkstätten sind äußerst attraktiv für die Auftraggeber:innen. Produkte können so mit dem Qualitätssigel „Made in Germany“ teilweise günstiger hergestellt werden als in noch stärker deregulierten Märkten.
Die Werkstattbeschäftigten bekommen für ihre Arbeit ein kleines Taschengeld, oftmals weniger als 1 EUR pro Stunde. Dieses Taschengeld ist dermaßen gering, dass damit ein Lebensunterhalt niemals finanziert werden kann. Die Beschäftigten bleiben in einer lebenslangen Abhängigkeit, obwohl sie oftmals leistungsstark genug wären, ohne staatliche Transferleistungen für sich zu sorgen – wenn man sie denn ließe.
Ich fordere einen mehrstufigen Fahrplan, um aus diesem System der Abschottung und Nicht-Sichtbarkeit herauszukommen. Alle Menschen arbeiten gemeinsam, leben gemeinsam, scheitern gemeinsam. Nur wer sich ausprobieren darf, kann wachsen. Der „Schutzraum Werkstatt“ verhindert oftmals dieses Ausprobieren, Scheitern, Neuausrichten.
Diese Erfahrungen benötigen ein solides, rechtssicheres und soziales Fundament. Die Beschäftigten in den Werkstätten brauchen einen Arbeitnehmer:innenstatus. Die Werkstatträte als Vertretungen der Beschäftigten müssen echte Mitbestimmungsrechte erhalten, so dass sie gemeinsam mit Gewerkschaften und Behindertenverbänden auf Augenhöhe mit den Werkstätten gute Arbeitsbedingung wie Mindestlohn und soziale Leistungen erkämpfen können. In den Werkstätten muss echte Ausbildung möglich werden, so dass ein zeitnaher Übergang in den offenen Arbeitsmarkt erfolgt.
Es braucht EU weite, verbindliche, evaluationsfähige Überführungsquoten, damit Werkstätten mehr investieren, Rehabilitand:innen zu befähigen, auf dem offenen Arbeitsmarkt zu bestehen. Werkstätten müssen einen aktiven Teil in dieser Transformation einnehmen, ihr Wissen dafür einsetzen, Unternehmen bei der Einrichtung inklusiver Arbeitsplätze zu unterstützen.
Und vor allem müssen die Werkstätten raus aus ihren engvernetzten Kooperationen mit der Industrie durch die Einrichtung unabhängiger Stellen, die wechselseitige Abhängigkeiten und Interessensüberschneidungen der Werkstatt-Gesellschafter:innen aufdecken und unterbinden.
Die Interessen der beschäftigten Menschen mit Behinderung dürfen nicht übergangen werden. Denn, so fasst es eine Werkstatträtin kurz und prägnant zusammen: 'ohne uns sind sie nichts!‘"
Autor: md / © EU-Schwerbehinderung