Bundesverfassungsgericht: Bundestagswahl muss in Teilen Berlins wiederholt werden
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Bei der letzten Bundestagswahl gab es im Land Berlin, in mehreren Wahlkreisen, Probleme innerhalb der Wahllokale. So waren u.A. nicht ausreichend Stimmzettel vorhanden. Heute hat sich das Bundesverfassungsgericht mit der Frage beschäftigt, ob in den 2.256 Wahlbezirken die Wahl wiederholt werden muss. (Az.: 2 BvC 4/23)
Vom Bundesverfassungsgericht hieß es heute zum Urteil: Mit heute verkündetem Urteil hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts die Wahl zum 20. Deutschen Bundestag über den Beschluss des Deutschen Bundestages vom 10. November 2022 hinausgehend in weiteren 31 Wahlbezirken des Landes Berlin sowie den zugehörigen Briefwahlbezirken für ungültig erklärt und eine Wiederholungswahl angeordnet. Zudem hat er den genannten Beschluss des Bundestages insoweit aufgehoben, als die Bundestagswahl in sieben Wahlbezirken und den damit verbundenen Briefwahlbezirken für ungültig erklärt wurde.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wendet sich mit ihrer Wahlprüfungsbeschwerde gegen den Beschluss des Bundestages vom 10. November 2022, mit dem dieser die Bundestagswahl 2021 in 431 Wahlbezirken in Berlin für ungültig erklärt und insoweit eine Wiederholungswahl angeordnet hat.
Der Beschluss des Deutschen Bundestages vom 10. November 2022 ist im Ergebnis überwiegend rechtmäßig. Der Bundestag hat das Wahlgeschehen jedoch unzureichend aufgeklärt, da er auf die gebotene Beiziehung und Auswertung der Niederschriften der einzelnen Wahlbezirke verzichtet hat. Dies hat das Bundesverfassungsgericht im Rahmen seiner Amtsaufklärungspflicht nachgeholt. Daraus ergibt sich, dass einerseits die Bundestagswahl in weiteren 25 Wahlbezirken des Landes Berlin einschließlich der zugehörigen Briefwahlbezirke für ungültig zu erklären und andererseits die Ungültigerklärung der Wahl in sieben Wahlbezirken und deren Briefwahlbezirken im Beschluss des Deutschen Bundestages aufzuheben ist. Daneben führen erst nach der mündlichen Verhandlung bekanntgewordene Besonderheiten der Auszählung von Briefwahlstimmen zur Ungültigerklärung der Bundestagswahl in weiteren sechs Briefwahlbezirken und den sechs mit diesen verbundenen Urnenwahlbezirken. Die Wiederholungswahl ist als Zweistimmenwahl (d. h. mit Erst- und Zweitstimme) durchzuführen.
Allerdings ist nicht zu erwarten, dass die Wiederholung der Wahl in 455 von 2.256 Wahlbezirken, das Stimmenverhältnis im Bundestag verschieben wird. Lediglich für einige direkt gewählte Mitglieder des Bundestages (MdB) kann das bedeuten, dass sie ihren Sitz im Bundestag verlieren.
Derzeitig, so teilte das Land Berlin bereits gestern mit, wird der 11. Februar 2024 für die Neuwahlen angestrebt und bereits am 8. Januar könnten die Briefwahlunterlagen versendet werden.
Zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Wahlprüfungsbeschwerde der CDU/CSU-Fraktion zur Bundestagswahl in Berlin erklärt Till Steffen, Parlamentarischer Geschäftsführer: Inhaltlich begrüßen wir, dass das Gericht den Beschluss des Bundestages, die Bundestagswahl in Wahlbezirken mit nachgewiesenen Vorfällen zu wiederholen, im Wesentlichen bestätigt hat. Die aus weiten Teilen der Opposition erhobenen Vorwürfe, die Ampelfraktionen hätten eine politische Entscheidung getroffen, sind damit entkräftet.
Es ist gut, dass wir in Deutschland sorgfältig überprüfen, ob Wahlen korrekt abgelaufen sind, aber es muss schneller gehen. Die Wahlwiederholung in Teilen von Berlin knapp zweieinhalb Jahre nach der Bundestagswahl lässt sich schwer vermitteln. Zunächst der Bundestag und dann das Bundesverfassungsgericht haben je etwa ein Jahr benötigt, um die Bundestagswahl in Berlin zu überprüfen. Insgesamt dauert das Wahlprüfungsverfahren damit zu lang. Wir müssen daher überlegen, ob es für den Bundestag die Möglichkeit geben sollte - etwa in Fällen, in denen offensichtlich eine umfangreiche und zeitaufwendige Beweiserhebung erforderlich ist - die Wahlprüfung direkt an das Bundesverfassungsgericht zu überweisen. Ein dahingehender Reformbedarf wird durch die Kritik des Bundesverfassungsgerichts, der Bundestag hätte den Sachverhalt gründlicher aufklären müssen, bestätigt.
Hintergrund:
Bei der Bundestagswahl am 26. September 2021 war es in Berlin zu erheblichen Problemen gekommen: So fehlten in zahlreichen Wahllokalen Stimmzettel, einige Wahllokale wurden zeitweise geschlossen oder blieben bis weit nach 18 Uhr geöffnet und teilweise bildeten sich lange Warteschlangen. Für die Durchführung der Bundestagswahlen in Berlin waren die Berliner Landesbehörden zuständig. Erschwert wurde die Durchführung der Wahl dadurch, dass gleichzeitig drei Wahlen abgehalten wurden: die Wahl zum Bundestag, die Wahl zum Abgeordnetenhaus und die Wahlen der Bezirksverordnetenversammlungen (BVV). Zudem wurde über einen Volksentscheid abgestimmt und es waren coronabedingt Abstandsregeln einzuhalten. Schließlich fand am Wahltag der Berlin-Marathon statt, der erhebliche Verkehrsbeeinträchtigungen mit sich brachte. Bei den Planungen zur Durchführung der Wahlen unter den gegebenen Bedingungen ist es bei den zuständigen Landesbehörden offensichtlich zu erheblichen Fehleinschätzungen gekommen.
Aufgrund der Vorkommisse hat der Bundeswahlleiter beim Bundestag Einspruch gegen die Durchführung der Bundestagswahl im Land Berlin eingelegt. Dieser Einspruch ging am 25.11.2021 beim Bundestag ein. Der für die Überprüfung von Einsprüchen zuständige Wahlprüfungsausschusses, der sich aus Abgeordneten aller Fraktionen zusammensetzt, kam am 27. Januar 2021 zu seiner 1. Sitzung zusammen, da nach der Bundestagswahl die Ausschüsse zunächst besetzt werden mussten. Der Ausschuss wird von einem kleinen Mitarbeiterstab der Bundestagsverwaltung betreut. Gegen die Bundestagswahl 2021 sind 2.172 Wahleinsprüche eingegangen, über 1.700 betrafen die Wahl in Berlin. Die Prüfung der Berlinwahl wurde dadurch erschwert, dass die Wahlniederschriften teilweise mangelhaft waren oder ganz fehlten. Der Bundestag hat am 10. November 2022 beschlossen, die Empfehlung des Wahlprüfungsausschusses, die Wahl in 431 Wahlbezirken mit nachgewiesenen Vorfällen zu wiederholen, anzunehmen. Die Wahlprüfbeschwerde der CDU/CSU-Fraktion gegen diesen Beschluss ging am 07.01.2023 bei dem Bundesverfassungsgericht ein.
Der erste parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, rechnet nach dem Karlsruher Urteil nur mit minimalen Veränderungen der Machtverhältnisse im Bundestag. „Auf die Zusammensetzung des Bundestages wird es allenfalls sehr geringe Auswirkungen haben“, sagte der CDU-Politiker dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Insbesondere die Mandate, die den Verbleib der Linken und des Bündnisses Sahra Wagenknecht im Parlament sichern, werden nach menschlichem Ermessen nicht betroffen sein.“
Frei nannte das Urteil „wegweisend“. Das Bundesverfassungsgericht habe erstmals eine genaue Definition möglicher Wahlfehler vorgelegt, die den Bundestag bei künftigen Wahlprüfungsverfahren leiten werde, fügte der Christdemokrat hinzu. Das von der Unionsfraktion erstrittene Urteil stärke das Vertrauen in „die Integrität des Verfahrens“. Weiter sagte Frei: „Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wurde heute ein rechtlicher Schlussstrich unter die unsäglichen Berliner Wahlen gezogen, die 2021 vom ehemaligen rot-rot-grünen Senat auf dem Niveau einer Bananenrepublik organisiert worden sind.“
Autor: kk / © EU-Schwerbehinderung
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