Paralympics in Deutschland würden die Augen öffnen
- 14 Nov
Der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS), Friedhelm Julius Beucher, zog am Mittwoch vor dem Sportausschuss ein positives Fazit der Paralympischen Sommerspiele von Paris in diesem Jahr. Zwar sei die sportliche Zielsetzung, unter die ersten zehn in der Nationenwertung zu kommen, knapp verfehlt worden. Erstmals jedoch sei die Mannschaft wieder größer und das Durchschnittsalter geringer als bei den vorhergehenden Spielen gewesen, sagte Beuchler.
Die Bilanz des Team D Paralympics könne sich sehen lassen, befand der DBS-Präsident. 49 Medaillen (2021: 43) habe das Team gewonnen - 10 Gold-, 14 Silber- und 25 Bronzemedaillen. Die Medaillenerfolge seien in 13 Sportarten erreicht worden (2021: 8) 63 Platzierungen auf den Plätzen 4 bis 8 habe es gegeben (2021: 57). Der Platz 11 im Nationenranking sei auch besser als in Tokio 2021 (Platz 12). Der Abwärtstrend sei gestoppt worden, konstatierte der DBS-Präsident.
Erwähnenswert ist aus Sicht des DBS auch die starke Medienpräsenz. „Noch nie waren die Paralympics so präsent wie in Paris“, sagte Beucher. 28,9 Millionen TV-Zuschauer hätten die Übertragungen auf ARD und ZDF verfolgt. Insgesamt habe es 60 Stunden Berichterstattung gegeben. Allein 2,75 Millionen Zuschauer hätten bei der Eröffnungsfeier eingeschaltet.
Beucher äußerte vor den Abgeordneten die Hoffnung auf eine Sicherstellung der finanziellen Förderung des Leistungssportpersonals. Es brauche eine gleichberechtigte Förderung des olympischen und paralympischen Sports. Die Verstetigung und der langfristige Ausbau des Fördervolumens werde zur Erhöhung des Professionalisierungsgrades im Para-Sport benötigt. Der DBS fordere ein Ende der prekären Anstellungsverhältnisse durch befristete Arbeitsverträge sowie die Sicherstellung einer adäquaten Vergütung analog zu vergleichbaren Branchen im und außerhalb des Sports.
Der Spitzensport, so Elena Semechin, Goldmedaillengewinnerin im Schwimmen bei den Paralympics, benötige ein gutes Fundament. Daher brauche es eine bessere Ausbildung und eine höhere Bezahlung für Trainer. Viele Trainer gingen ins Ausland, weil sie dort besser bezahlt und besser ausgebildet würden. Zugleich brauche es eine finanzielle Absicherung der Sportler, damit diese nicht aus Geldmangel nach der Schule ihre sportliche Karriere beenden. Profisportler brauchten ein Netz, „was ihnen die Sicherheit gibt, vom Sport leben zu können“. Wer acht Stunde am Tag beim Training sei, können nicht noch arbeiten gehen, um Geld zu verdienen, sagte Semechin.
Die Schwimmerin, die nur noch zwei Prozent ihres Sehvermögens hat, sprach auch über ihre Erfahrungen mit der Schul- und Vereinsstruktur im Sport. Als sie im Kindesalter zu einem Verein ging, um Schwimmen zu lernen, sei sie abgelehnt worden. Sie sei mit ihrer Behinderung ein Störfaktor, sei ihr gesagt worden. Beim Schulsport, so Semechin weiter, habe sie aufgrund ihrer Sehbehinderung oftmals nicht am Unterricht teilnehmen können und stattdessen in der Ecke gesessen, bis der Unterricht vorbei war. „Das ist furchtbar“, sagte die Athletin.
Inklusion und Teilhabe seien für Menschen mit Behinderung „extrem wichtig“, betonte sie. Würden die Paralympics in Deutschland stattfinden, so ihre Überlegung, würde das vielen Vereinen und Schulen, aber auch der ganzen Gesellschaft „ein Stück weit die Augen öffnen und Barrieren abschaffen“.
Für die Bewerbung einer deutschen Stadt um die Ausrichtung der Olympischen Spiele und der Paralympics sprach sich auch DBS-Präsident Beucher aus. Statt sich jetzt schon darüber zu streiten, welche Stadt dafür in Frage komme, sollte erst einmal geklärt werden, „ob wir in Deutschland die Spiele wollen“. Dann könne nach der optimalen Lösung gesucht werden.
Florin Boeck, Projektleiter Parasport beim Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten (FES) lobte das enge Verhältnis bei der Sportgeräteentwicklung zwischen FES und den Sportlern. Dies sei auch nötig, um die Sportgeräte entsprechend der internationalen Wettkampfbestimmungen einerseits und angepasst an die Bedürfnisse der Sportler andererseits zu entwickeln.
Jürgen Wick, stellvertretender Direktor und Fachbereichsleiter Ausdauer im Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT), sagte, sein Institut sei nicht in der Lage, alle Anfragen aus dem Bereich Para-Sport zu bedienen. Oftmals brauche es eine Eins-zu-eins-Betreuung mit den Sportlern. Das scheitere in einigen Fällen an „fehlender Manpower“ - nicht an fehlenden Laboren oder Werkstätten.
FES-Direktor Michael Nitsch beklagte die aus seiner Sicht im deutschen Spitzensport fehlende Strategie. „Ich weiß ja nicht einmal, in welchen Sportarten die Politik, die Verwaltung und die Verbände von uns Zuarbeiten erwarten“, sagte er. IAT und FES würden sich anhand eines eigenen Bewertungssystems ihre Gedanken machen, so Nitsch. „Ich vermisse das aber von oben“, fügte er hinzu.
Autor: Bundestag/hib | © EU-Schwerbehinderung/Deutscher Bundestag