Zwangssterilisation bei Menschen mit Behinderung?
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Der Begriff der Zwangssterilisation erinnert immer noch an die NS-Zeit und eigentlich sollte man denken, dass Zwangssterilisationen nach 1945 in Deutschland kein Thema mehr sind. Nach 1945 waren Sterilisationen eigentlich nur noch freiwillig möglich. Der § 1905 BGB definiert allerdings Ausnahmen. Dieser Paragraph lässt nämlich Sterilisationen zu. Dort steht:
Besteht der ärztliche Eingriff in einer Sterilisation des Betreuten, in die dieser nicht einwilligen kann, so kann der Betreuer nur einwilligen, wenn
1. die Sterilisation dem Willen des Betreuten nicht widerspricht,
2. der Betreute auf Dauer einwilligungsunfähig bleiben wird,
3. anzunehmen ist, dass es ohne die Sterilisation zu einer Schwangerschaft kommen würde,
4. infolge dieser Schwangerschaft eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustands der Schwangeren zu erwarten wäre, die nicht auf zumutbare Weise abgewendet werden könnte, und
5. die Schwangerschaft nicht durch andere zumutbare Mittel verhindert werden kann.
Es können somit in Deutschland durchaus Sterilisationen durchgeführt werden, wenn diese durch das Betreuungsgericht veranlasst werden. Laut einer Statistik (PDF- Download) gab es 2005 noch 262 genehmigte Sterilisationen nach § 1905 BGB. In einer Statistik des Bundesamt für Justiz (PDF-Download) ist im Jahr 2016 immerhin noch von 23 genehmigten Sterilisationen nach § 1905 BGB die Rede.
In Deutschland wurde das Thema im Jahr 2015 wieder aktuell, als der UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), prüfte und im Vorfeld der UN-Ausschuss die Bundesregierung nach Zwangssterilisationen gefragt hatte. In dem abschließenden Bericht hieß es unter Punkt 38: „Der Ausschuss empfiehlt dem Vertragsstaat, die notwendigen Maßnahmen, einschließlich gesetzgeberischer Art, zu treffen, (a) um § 1905 des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs aufzuheben und die Sterilisierung ohne die vollständige und informierte Einwilligung des/der Betroffenen gesetzlich zu verbieten und sämtliche Ausnahmen abzuschaffen, einschließlich der ersetzenden Entscheidung bzw. nach richterlicher Genehmigung“ (Deutsche Fassung hier als PDF-Download)
In der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) – seit dem 26.03.2009 geltendes Recht in Deutschland – wird in Artikel 17 das Recht auf Achtung der körperlichen und seelischen Unversehrtheit gleichberechtigt mit anderen festgeschrieben. In Artikel 23 wird geregelt, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen ihre Fruchtbarkeit behalten.
Gerade für Menschen mit Lernschwierigkeiten, scheint aber das Thema Sterilisation immer noch ein akutes Thema zu sein, wie sich aus dem Positionspapier des Behindertenbeauftragten (hier PDF-Download) hervor geht. Dort heißt es im Fazit: „Wenn Frauen mit Lernschwierigkeiten einer Sterilisation zustimmen, kann in diesen Fällen im rechtlichen Sinne nicht von Zwangssterilisation gesprochen werden. Dennoch üben sowohl die Umstände als auch Einstellungen in der Gesellschaft auf Frauen mit Lernschwierigkeiten einen enormen Druck aus. Bei Schwanger- und Mutterschaft droht nicht selten das Verlassen des gesamten bislang gewohnten Umfeldes (Wohnen / Arbeit / Freizeit / Partnerschaft oder Familie) sowie die Unklarheit, in wieweit eine Unterstützung von anderen Personen und Einrichtungen erfolgen wird. Nach den Ergebnissen der Studie, aber auch aus Erkenntnissen aus Seminaren mit Frauen mit Behinderungen sowie Befragungen, stimmen Frauen mit Lernschwierigkeiten sogar bei einem vorhandenen Kinderwunsch einer Sterilisation zu. Eine Entscheidung für eine Sterilisation unter diesen Bedingungen kann jedoch nicht wirklich „freiwillig“ genannt werden, da zwar keine gesetzlichen, wohl aber gesellschaftliche und strukturelle Zwänge eine maßgebliche Rolle spielen.“
Bleibt in dem Zusammenhang die Frage ungeklärt, warum der § 1905 BGB überhaupt noch in den Gesetzesbüchern auftaucht.
Zwar wurde mit der Drucksache 18/12037 mit dem „Gesetz zu dem Übereinkommen des Europarats vom 11. Mai 2011 zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ im Artikel 39 „Zwangsabtreibung und Zwangssterilisierung“ die „Durchführung eines chirurgischen Eingriffs mit dem Zweck oder der Folge, dass die Fähigkeit einer Frau zur natürlichen Fortpflanzung ohne deren auf Kenntnis der Sachlage gegründete vorherige Zustimmung zu dem Verfahren oder Verständnis dafür beendet wird.“ ausgeschlossen, doch der der § 1905 BGB blieb unberührt.
Autor: Redaktion / © EU-Schwerbehinderung