Angriff der AfD auf Behindertenpolitik und Menschenrechte?
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Als Björn Höcke, Fraktionsvorsitzenden der AFD im Thüringer Landtag, sich im MDR-Sommerinterview zur Inklusion äußerte, wurde damit eine Welle des Entsetzens ausgelöst. Seine Aussage im MDR-Sommerinterview war: „Insbesondere müssen wir das Bildungssystem auch befreien von Ideologie-Projekten, beispielsweise der Inklusion … das Gendern.“
So ist Höcke der Meinung, dass solche Projekte die Schülerinnen und Schüler nicht weiterbringen. Das es bei der Inklusion im Bildungswesen eben nicht um Projekte geht, sondern ganz klar aus der UN-Behindertenrechtskonvention als eines der Menschenrechte definiert ist, dass scheint dabei aus Sicht der AfD, weniger eine Rolle zu spielen. Die AfD hatte sich in einem Antrag im Bundestag, sogar für die Abschaffung des Instituts für Menschenrechte ausgesprochen hatte. Höcke ist selbst Vater von vier Kindern und hat das Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien. Sein Vater war Sonderschullehrer an der Landesschule für Blinde und Sehbehinderte in Neuwied und seine Mutter Kranken- und Altenpflegerin.
Jetzt kommt berechtigte Kritik an Björn Höcke von dem Landesbehindertenbeauftragten Sachsen-Anhalt, Dr. Christian Walbrach: „Wer schulische Inklusion als belastendes Ideologieprojekt bezeichnet, von dem man sich befreien müsse, entlarvt seinen begrenzten sozial- und arbeitsmarktpolitischen Horizont. Wer sein politisches Denken derart definiert, arbeitet konsequent an der Erbsünde einer merkmalsorientierten Auslese und ignoriert die Notwendigkeit früher und gezielter individueller Lernförderung völlig. Wer sich gegen die Inklusion von Menschen mit Behinderungen stellt, die mit ihren Leistungspotenzialen auf allen gesellschaftlichen Ebenen unverzichtbar sind, gehört ins politische Abseits und nicht auf die Bühne. Wir brauchen einen Appell der Aufgeklärten, die gegen diesen Ungeist des Herrn Höcke wahrnehmbar aufbegehren.“
Inklusion als Grundrecht, bedarf Ideen einer guten Umsetzung, denn wenn Kinder mit ihren Beeinträchtigungen in das Schulsystem integriert werden, ist das sicherlich nicht nur für das Kind mit Behinderungen förderlich, sondern die Erfahrungen zeigen, dass damit auch das gesamtgesellschaftliche Miteinander und Verständnis für Menschen mit Einschränkungen, gefördert wird.
Bei richtiger Umsetzung, also auch der Möglichkeit die Lehrkräfte aus den Förderschulen mit an die allgemeinen Schulen zu holen, ist Inklusion im Bildungswesen erfolgreich umsetzbar, wie Beispiele in Hamburg zeigen.
Christiane Gaida, Co-Vorsitzende der AG Selbstaktiv in der SPD Leipzig: „Wir sind froh, dass Deutschland die Uno-Behindertenrechtskonvention ratifiziert hat und sich damit zum Recht auf gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen bekannt hat, auch wenn uns die Umsetzung manchmal zu langsam geht. Die Äußerung von Höcke überraschen mich nicht, sie stellen dennoch einen erneuten Tabubruch der AfD dar und zeigen deren menschenfeindliche Haltung, die aus Ausgrenzung, Diskriminierung und Hass besteht. Darüber hinaus sind Menschen mit Behinderung, anders als Höcke behauptet, schon heute Leistungsträger und Fachkräfte, wie auch Befragungen von zeigen. Teilweise studieren Menschen mit Behinderung, die als Kinder und Jugendliche ein Gymnasium besucht haben.“
Trotz aller Kritik ist es für die AfD ein Gewinn, wenn Äußerungen dieser Art kommen, denn damit wird der AfD die mediale Aufmerksamkeit gegeben und somit öffentliches Interesse für die AfD geweckt. Doch wer, wenn nicht die Medien, soll darauf aufmerksam machen, wo die offensichtlichen Intensionen der AfD liegen?
In Sachen Inklusion von Menschen mit Behinderungen hat Deutschland enormen Nachholbedarf, wie auch die Bundestagsabgeordnete Corinna Rüffer, vom Bündnis 90 die Grünen, betonte. „Wenn Björn Höcke Inklusion in seinem Sommerinterview mit dem MDR als „Ideologieprojekt“ bezeichnet, von dem das Bildungssystem „befreit“ werden müsse, und von „Belastungsfaktoren“ spricht, knüpft er damit unmittelbar an eine Denkweise an, die dem Leben von Menschen mit Behinderungen einen geringeren Wert zuschreibt. Höcke sieht Behinderung als ein Defizit des betroffenen Menschen, das zu dessen Diskriminierung berechtigt," so Rüffer.
„In unserer Gesellschaft ist kein Platz für ein derartig verachtendes Menschenbild“, so Martin Berg, Vorstandsvorsitzender der BAG WfbM (Werkstatt für behinderte Menschen). Berg weiter: „Nicht nur die inhaltlichen Äußerungen von Herrn Höcke, sondern auch das genutzte Vokabular erinnern stark an die Rhetorik der Nationalsozialisten sowie an die abscheulichen Verbrechen, die damals an Menschen mit Behinderungen begangen wurden. Niemals darf es in Deutschland wieder so weit kommen! Menschen mit Behinderungen sind in allen Lebensbereichen ein wichtiger Teil unserer vielfältigen Gesellschaft und aus diesen nicht wegzudenken."
Deutschland hatte im Jahr 2009 die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert und ist bis heute mit der Umsetzung lange noch nicht am Ziel angekommen, denn in der letzten Staatenprüfung des UN-Fachausschuss, die auch in diesem Jahr wieder stattfinden wird, wurde Deutschland bereits ermahnt, die „Sonderwelten“ endlich abzubauen, also die Einrichtungen die speziell für Menschen mit Behinderungen geschaffen sind und damit eher der Inklusion entgegenwirken.
Ganz werden sich die „Sonderwelten“ sicherlich nicht abschaffen lassen, denn viele Menschen mit schwerst- oder Mehrfachbehinderungen, sind auf eine besondere intensive Betreuung angewiesen. Trotzdem ist der Inklusionsgedanke vorhanden, am Ende auf Sonderwelten verzichten zu können, um die UN-Behindertenrechtskonvention vollständig umzusetzen und Menschen mit Behinderungen nicht gesellschaftlich auszuschließen.
„Inklusion ist ein Menschenrecht und stellt für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft nicht das Problem dar. Vielmehr ist Inklusion die Lösung für eine Überwindung sozialer Spaltungen," stellt Rüffer dar und spricht damit das Problem an, was zunehmend in der Gesellschaft zu beobachten ist, denn oft gibt es noch Barrieren, aber auch andere juristische Grenzen, wenn es um Inklusion und Teilhabe geht.
Besonders deutlich wird es bei Menschen, die aufgrund ihres Alters, Einschränkungen erfahren müssen, dass sie in Deutschland keinen Anspruch auf einen Schwerbehindertenausweis haben. Die dann oft notwendige Begleitperson, darf dann nicht mehr kostenlos im Personennahverkehr oder bei Veranstaltungen teilnehmen. Nachteilsausgleiche sind in Deutschland somit keine Selbstverständlichkeit oder gebunden an der UN-Behindertenrechtskonvention, sondern eine Frage des Alters. Das macht sich selbst in der Steuererklärung bemerkbar, denn wer altersbedingt Einschränkungen hat, bekommt nicht einmal die steuerlichen Vorteile.
Autor: kk / © EU-Schwerbehinderung