Oberbayern - Der behindertenfreundliche Bezirk
- Lesezeit: 9 Minuten
Der Bezirk Oberbayern ist medial bereits des öfteren in Kritik geraten, so beispielsweise mit der Mutter, die gleich nach der Geburt ihr Kind weggeben sollte und das nur weil sie behindert ist. Dieser TV-Beitrag der im Bayerisches Fernsehen lief, wurde hinterher stark kritisiert. Einerseits seitens der Zuschauer*in und anderseits auch vom Bezirk Oberbayern selbst, der selber kritisierte, dass die detaillierte Stellungnahme des Bezirks Oberbayern in der Berichterstattung nicht berücksichtigt wurde.
Aber auch die Kommunikationsweise des Bezirkes wird immer wieder bemängelt. Gerade Menschen mit Behinderung, scheinen sich oft vom Bezirk nicht verstanden zu fühlen. Es gibt für Menschen mit Behinderungen, immer wieder Kritikpunkte, die oft durch unterschiedliche Wahrnehmungen geprägt sind und sich mit den besonderen individuellen Bedürfnissen behinderter Menschen begründen lassen. Schließlich ist jede Behinderung individuell und lässt sich nur schwer durch Paragraphen geprägt, pauschalisieren. So ist der individuelle Umgang mit jeden einzelnen Menschen der eine Behinderung aufweist, eine Grundlage einer erfolgsgeprägten Kommunikation.
Wir haben Josef Mederer, den Bezirkspräsidenten zu dem Thema "Menschen mit Behinderung" interviewt:
Wie bewerten Sie derzeitig den Umsetzungsstatus der UN-Behindertenrechtskonvention für Oberbayern?
Bezirkstagspräsident Josef Mederer: In Oberbayern haben wir bereits viel erreicht, sind aber noch lange nicht am Ziel. Der Bezirk Oberbayern ist beispielsweise an zahlreichen Prozessen der örtlichen Teilhabeplanung in den oberbayerischen Landkreisen und Gemeinden beteiligt. Ziel ist es, mehr barrierefreie Angebote und inklusive Sozialräume zu schaffen. Dabei erleben wir immer wieder, dass der gesellschaftliche Paradigmenwechsel hin zu einem inklusiven Gemeinwesen kein Sprint, sondern ein Marathonlauf ist, für den man einen langen Atem braucht.
Als überörtlicher Träger der Sozialhilfe stellen wir uns dieser Herausforderung tagtäglich. Der Bezirk Oberbayern engagiert sich nach innen und außen für die Schaffung eines inklusiven Gemeinwesens. Wir vergeben heuer zum 5. Mal unseren Inklusionspreis. Wir zeichnen damit vorbildhafte Projekte und Initiativen aus und betreiben Bewusstseinsbildung nach Art. 8 UN-BRK. Insgesamt sieht der Bezirk die Umsetzung der UN-BRK als Querschnittsaufgabe. Das heißt, wir fördern beispielsweise die Entstehung von mehr ambulantem Wohnprojekten und Arbeitsangeboten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt genauso wie die inklusive Kulturvermittlung in unserer Galerie oder bei unserem Kulturfestival ZAMMA. Inklusion in allen gesellschaftlichen Bereichen – das ist unser Ziel.
Das leben wir auch intern. In der Bezirksverwaltung sind derzeit 1.294 Personen tätig – davon 155 Menschen mit einer Behinderung. Das ist eine Quote von 12 Prozent, also mehr als das Doppelte der gesetzlich vorgeschriebenen Quote von fünf Prozent.
Wir sehen uns hier als Vorbild auch für andere Arbeitgeber. Das gilt ebenso für die bauliche Barrierefreiheit. Unsere Verwaltung ist in Gebäuden aus den 1960er Jahren untergebracht. Damals war Barrierefreiheit ein Fremdwort. Diese Gebäude haben wir mit großem Aufwand barrierefrei umgebaut. Der Bezirk Oberbayern ist damit für alle Menschen erreichbar und zugänglich. Dies gilt auch für unsere Informationsangebote. Auf unserer Homepage sind viele Informationen und Publikationen in Leichter Sprache abrufbar. Auch in unseren Museen wie dem Freilichtmuseum Glentleiten engagieren wir uns für Barrierefreiheit: So ist das dortige Wagnerhäusl als inklusiver Ort zum Hören, Fühlen und Begreifen mittels tastbarer Objekte und Hörstationen entstanden. Kurzum: Wir sind auf einem guten Weg, haben aber noch eine beträchtliche Wegstrecke vor uns.
Welche Maßnahmen haben Sie zur weiteren Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention geplant?
Mederer: Seit 2016 basiert unsere interne Arbeit auf einem Leitbild Inklusion. Darüber hinaus ist der Bezirk Unterzeichner der Charta der Vielfalt, deren Werte und Ziele der Diversity er lebt: Offenheit und Vielfalt, Mut und Toleranz prägen nicht nur mich persönlich, sondern auch den Alltag im Bezirk Oberbayern. Mein persönlicher Wunsch ist es zudem, dass wir in der Verwaltung und unseren Einrichtungen künftig noch mehr Menschen mit Behinderungen anstellen. Ich denke hier insbesondere an Menschen, die derzeit noch Werkstätten für Menschen mit Behinderungen tätig sind. So würden wir selbst gerne im Rahmen des Budgets für Arbeit Arbeitgeber werden und klären derzeit intern die notwendigen Prozesse und Rahmenbedingungen. Wenn uns das gelingt, werden wir unserer Rolle als Vorbild noch mehr gerecht.
Wie aus diversen Medienberichten zu entnehmen ist, gerät der Bezirk Oberbayern immer wieder in Kritik. So bspw. durch eine schwangere Mutter, der das Kind weggenommen wurde. Ursache sollen hierfür fehlende Unterlagen gewesen sein. Wie gut ist Ihr Personal mit dem Umgang und der individuellen bedarfsgerechten Bearbeitung unter Berücksichtigung der Behinderung und Erkrankung der Kundinnen und Kunden geschult?
Mederer: Selbstverständlich schult der Bezirk Oberbayern alle Mitarbeitenden in der Kommunikation und im Umgang mit Menschen mit Behinderungen. Wir haben ein umfangreiches Tutoren- und Einarbeitungskonzept und bilden unsere Mitarbeitenden mit internen und externen Angeboten stetig weiter. Der Service hat beim Bezirk hohe Priorität. Mit dem Fallmanagement setzen wir zudem eine Arbeitsmethode ein, die die Sachbearbeitung in komplexen Fällen verbessert. Ziel ist es, dass Menschen mit Behinderungen personenzentrierte, individuelle und passgenaue Hilfeangebote erhalten. Gleichwohl bedauere ich es außerordentlich, wenn es in seltenen komplexen Einzelfällen, bei denen teilweise mehrere Sozialhilfeträger beteiligt sind, zu Verzögerungen kommt.
Gibt es Maßnahmen, die Sie für die Zukunft geplant haben, um zukünftig medial weniger Interesse zu wecken?
Mederer: Der Bezirk Oberbayern finanziert Leistungen nach dem Bundesteilhabegesetz für fast 50.000 Menschen mit Behinderungen und in der Hilfe zur Pflege für rund 20.000 Menschen mit Pflegebedarf. Bis auf wirklich sehr, sehr wenige Ausnahmen arbeiten wir mit unseren Kundinnen und Kunden sehr gut zusammen. Trotzdem verbessern wir unsere internen Prozesse in der Sachbearbeitung laufend weiter.
Wie bereits dargestellt, scheint Ihr persönliches Engagement so groß zu sein, dass die Staatsregierung sogar Ihre persönlichen Kontaktdaten weiter gibt. Ist sichergestellt, dass eventuelle Anfragen von Kundinnen und Kunden, die direkt an Sie und Ihre privaten Kontaktdaten gesendet werden, am Ende auch die zuständige Sachbearbeitung erreichen?
Mederer: Wie alle politischen Funktionsträger trenne ich sehr wohl zwischen öffentlichen und privaten Anliegen. In meiner Funktion als Bezirkstagspräsident unterstütze ich die Bürgerinnen und Bürgerinnen Oberbayerns jederzeit gerne. Darüber hinaus habe auch eine persönliche Website und eine Mailadresse in meiner Funktion als politischer Mandatsträger. Dies dürfen Sie aber nicht mit mir als tatsächlicher Privatperson verwechseln. Landen dienstliche Belange an dieser Adresse, leite ich die selbstverständlich an die Bezirksverwaltung weiter. Ich bin mir aber sicher, dass die Bürgerinnen und Bürger zwischen mir als oberstem Repräsentanten des Bezirks Oberbayern und gleichzeitig Chef der Verwaltung, mir als politischem Mandatsträger und mir als privatem Josef Mederer unterscheiden können.
Welche Eigenmotivation begründet dieses Engagement?
Mederer: Ich engagiere mich seit meiner Jugend sozial. So bin ich im Roten Kreuz seit über 50 Jahren ehrenamtlich aktiv und mindestens ebenso lange Mitglied der Kolpingfamilie. In den Vorständen beider Organisationen habe ich mich langjährig und intensiv eingebracht. Ich setze mich gerne für meine Mitmenschen ein. Mein Ziel ist eine solidarische, menschliche und rücksichtsvolle Gesellschaft.
Wie unterstützen Sie persönlich gerade Menschen mit Behinderung, die sich an den Bezirk wenden?
Mederer: Am besten kann ich Menschen mit Behinderungen unterstützen, indem ich mich im Bezirk Oberbayern für die Schaffung von noch mehr inklusiven Angeboten einsetze. Darüber hinaus ist für mich ein zentrales Anliegen, die internen Prozesse weiter zu verbessern, damit die Sachbearbeitung möglichst gut läuft.
Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus?
Mederer: Das ist ganz einfach: Der oberbayerische Bezirkstag hat mich mit einer breiten Mehrheit zum Bezirkstagspräsidenten gewählt. Dieses Mandat gilt bis 2023. Bis dahin widme ich mich weiterhin mit voller Kraft meinen Aufgaben für den Bezirk Oberbayern.
Was wünschen Sie persönlich sich hinsichtlich der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention?
Mederer: Mein Wunsch ist, dass wir für Menschen mit Behinderungen noch mehr Möglichkeiten zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft schaffen können und dass wir dafür weiterhin die notwendigen Mittel haben. Hier sind wir von Rahmenbedingungen abhängig, die der Bezirk Oberbayern nicht direkt beeinflussen kann, in erster Linie von einer guten Konjunktur mit hohen Steuereinnahmen. In die Sozialen Hilfen des Bezirks Oberbayern fließen 2020 rund 1,95 Milliarden Euro. In der Zukunft brauchen wir mehr bezahlbaren Wohnraum für Menschen mit Behinderungen, mehr Fachkräfte und eine gute Entwicklung des Arbeitsmarktes. Wir brauchen aber auch die Bereitschaft der Bürger und Bürgerinnen, Menschen mit Behinderung als Partner in unserer Gesellschaft zu sehen. Es geht dabei um die gleichberechtigte Teilhabe und das selbstbestimmte Leben in der Gemeinschaft aller Menschen!
Autor: kk / © EU-Schwerbehinderung