Kein Mindestlohn für Werkstattbeschäftigte - Die Gründe sind ersichtlich
- Lesezeit: 6 Minuten
Die Grünen fordern ein Mindestlohn von 15 Euro, eine Forderung die für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gilt. Allerdings ist der Begriff "Arbeitnehmer" eine nicht nur juristische Definition, sondern auch in der Praxis führt diese Definition zu Debatten, denn es gibt Menschen in Deutschland die arbeiten für unter 2 Euro Entgelt, das ganz legal durch den Gesetzgeber.
Menschen die in Deutschland in Einrichtungen arbeiten, die eigentlich als "Rehabilitierungs- und Integrationsmaßnahme" zu verstehen ist. Die Werkstatt für Menschen mit Behinderungen (WfbM) sollte eigentlich genau so eine Einrichtung sein, denn der Paragraph 219 des neunten Sozialgesetzbuch (§219 SGB IX) beschreibt die Aufgabe wie folgt:
"Die Werkstatt für behinderte Menschen ist eine Einrichtung zur Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben im Sinne des Kapitels 10 des Teils 1 und zur Eingliederung in das Arbeitsleben. Sie hat denjenigen behinderten Menschen, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden können,
- eine angemessene berufliche Bildung und eine Beschäftigung zu einem ihrer Leistung angemessenen Arbeitsentgelt aus dem Arbeitsergebnis anzubieten und
- zu ermöglichen, ihre Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu entwickeln, zu erhöhen oder wiederzugewinnen und dabei ihre Persönlichkeit weiterzuentwickeln.
Sie fördert den Übergang geeigneter Personen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt durch geeignete Maßnahmen. Sie verfügt über ein möglichst breites Angebot an Berufsbildungs- und Arbeitsplätzen sowie über qualifiziertes Personal und einen begleitenden Dienst. Zum Angebot an Berufsbildungs- und Arbeitsplätzen gehören ausgelagerte Plätze auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Die ausgelagerten Arbeitsplätze werden zum Zwecke des Übergangs und als dauerhaft ausgelagerte Plätze angeboten."
Die Praxis sieht aber anders aus, denn wer einmal in der WfbM arbeitet, kommt dort meist nicht mehr heraus. Das zeigen die Zahlen, denn von den rund 310.000 Menschen in den Werkstätten, liegt die Zahl derer die es an den 1. Arbeitsmarkt schaffen, oft (je nach Bundesland) unter 1%. Warum das so ist? Dieser Frage sind wir in unseren Recherchen nachgegangen. (Anm.: Wenn sie über ein Plus-Abo verfügen, melden Sie sich an um die Rechercheergebnisse zu lesen)
Mit der Beschäftigung in einer Werkstatt, beginnt meist auch die Abhängigkeit zum Bürgergeld, denn wer in einer Werkstatt arbeitet, ist mit unter 2 Euro Entgelt kaum in der Lage seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, muss mit Bürgergeld aufstocken. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, will das zwar ändern, mit einer "Werkstattreform", aber wie diese aussieht ist noch nicht erkennbar.
Schließen lässt sich das Werkstattsystem auch nicht, den WfbM bieten für viele Menschen die dort beschäftigt sind, einen Schutzraum, der am ersten Arbeitsmarkt fehlt. Ein Grund, warum viele Menschen nicht aus der WfbM heraus wollen, so zumindest gerade bei denen erkennbar, die bereits älter sind, wie eine Studie ergab. (wir berichteten: Filmbeitrag )
Zum Tag der Arbeit am 1. Mai macht der Paritätische Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg auf einen weiterhin bestehenden Missstand hin: In Baden-Württemberg arbeiteten im Jahr 2022 27.274 Menschen mit Behinderung in Werkstätten. Im Bundesdurchschnitt erhalten sie ein Werkstattentgelt in Höhe von durchschnittlich 229 EUR pro Monat. Das entspricht einem Stundenlohn von 1,35 Euro. Für den Lebensunterhalt müssen sie Leistungen aus der Grundsicherung beantragen. Der Paritätische Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg fordert eine deutliche Lohnerhöhung für Werkstattbeschäftigte in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns. Ziel sei es, so der Verband, dass auch Menschen mit Behinderung Abhängigkeiten von Sozialleistungen reduzieren und ein selbstbestimmteres Leben führen könnten.
„Menschen mit Behinderung müssen für ihre Arbeit in den Werkstätten einen Lohn erhalten, von dem sie ihren Lebensunterhalt selbst verdienen und ohne zusätzliche Leistungen aus der Grundsicherung leben können. Die Beschäftigten leisten wertvolle Arbeit für unsere Wirtschaft und haben Anspruch auf eine angemessene Bezahlung in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns. Es ist auch ein Zeichen von Respekt und Anerkennung für die Tätigkeit, die Werkstattbeschäftigte tagtäglich leisten“, sagt Uta-Micaela Dürig, Vorständin Sozialpolitik des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Baden-Württemberg. „Es darf für Menschen mit Behinderung keinen Unterschied mehr machen, an welchem Ort sie einer Beschäftigung nachgehen. Das Einkommen muss mindestens existenzsichernd sein. Menschen dürfen aufgrund ihrer Behinderung nicht benachteiligt werden, so steht es in Paragraf 3 unseres Grundgesetzes. Dies muss anerkannt werden“, so die Vorständin weiter. Das Land solle sich auf Bundesebene für eine bessere Einkommenssituation von Werkstattbeschäftigten einsetzen. Da seien skandinavische Länder fortschrittlicher. Hier habe die Integration von Menschen mit Behinderung in den ersten Arbeitsmarkt eine hohe politische Priorität und längst weit höhere Prozentsätze erreicht, als in Deutschland. Die Beschäftigungsquote von Menschen mit Behinderung lag beispielsweise in Schweden 2021 bei 70,7 Prozent – verglichen mit 78,7 Prozent bei der Gesamtbevölkerung.
Autor: kk / © EU-Schwerbehinderung