Verflixte Sprache: Immer mehr Kinder haben Probleme
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Viele Eltern werden sich fasziniert an die Sprachentwicklung ihres Nachwuchses erinnern oder sie aktuell erleben – vom anfänglichen Lallen über erste Wörter bis hin zu komplexen Sätzen. Sprache macht uns Menschen einzigartig. Doch immer mehr Kinder und Jugendliche weisen Sprach- und Sprechstörungen auf, wie Daten der KKH Kaufmännische Krankenkasse zeigen.
Forciert Corona Sprach- und Sprechprobleme?
In vielen Familien verwandelte Homeschooling durch die Corona-Krise Kinderzimmer und Küchen über Wochen, ja Monate in Schulräume. Nicht jedes Kind konnte dabei auf elterliche Unterstützung zurückgreifen. „Vielen Kindern und Jugendlichen fehlte durch ausbleibenden Schulunterricht, Distanz- und Wechselunterricht etwas Entscheidendes: der direkte kommunikative Austausch mit Gleichaltrigen“, sagt Miriam Rappe. „Von Erlebnissen berichten, miteinander diskutieren, spielen, Witze machen, auch streiten und damit Sprache und Sprechen trainieren – das fiel während der Lockdowns weg.“ Hinzu kommt, dass während der Pandemie Behandlungen bei Sprachauffälligkeiten nicht begonnen, frühzeitig beendet oder verzögert gestartet werden konnten. Und so könnte der Trend zu mehr Sprachentwicklungsstörungen, der sich seit einigen Jahren abzeichnet, durch die Pandemie mit all ihren Kontaktbeschränkungen noch verstärkt werden.
Spracherwerb braucht Zeit und Geduld
Der Spracherwerb von Kindern ist individuell und ein langer Prozess mit mehreren Etappen. Fängt ein Kind erst spät an zu sprechen, ist das noch kein Grund zur Sorge. Doch etwa mit dem dritten Lebensjahr sollte sich ein Kind mitteilen können und sein Wortschatz wachsen. „Auffälligkeiten im Spracherwerb können sich in einem späteren Sprachbeginn, einem geringeren Wortschatz oder eingeschränkten Sprachverständnis bemerkbar machen“, erläutert Logopädin Rappe. „Weitere Ursachen können fehlender Blickkontakt, Probleme beim motorischen Bilden von Lauten, Zahnfehlstellungen oder Wahrnehmungsstörungen sein.“ Auch zu viele Stunden vor dem Fernseher oder PC können in Zusammenhang mit einer Sprachentwicklungsstörung stehen.
Ob eine Sprach- oder Sprechstörung vorliegt und behandelt werden sollte, ist für Eltern nicht leicht zu beurteilen. Sprachentwicklungsstörungen werden häufig im Rahmen der U-Untersuchungen vom Kinderarzt diagnostiziert und sollten von Logopäd:innen oder Sprachheilpädagog:innen therapiert werden. Denn Sprache ist unser Tor in die Welt. Sie ermöglicht Mitteilen und Verstehen und damit den Austausch mit unseren Mitmenschen in Kita und Schule, später in Ausbildung, Studium und Beruf. Sprachkompetenzen zählen in unserer mediengeprägten Gesellschaft längst zu den Kernkompetenzen. „Als Sprachvorbild fungieren oft Eltern oder enge Bezugspersonen. Daher ist es wichtig, dass sie sprachliche Kompetenzen aktiv fördern“, rät Miriam Rappe. „Sie sollten sich vor allem Zeit für ihre Kinder nehmen, um ihnen in allen Lebensphasen Sprachreize zu bieten – vom Blickkontakt über Vorlesen im Kleinkindalter bis hin zum Diskutieren im jungen Erwachsenenalter.“ Damit helfen sie wesentlich, kommunikative Fähigkeiten aufzubauen, zu trainieren und zu entfalten und obendrein das Selbstbewusstsein ihres Nachwuchses zu stärken.
Die KKH hat anonymisierte Daten ihrer Versicherten zwischen 6 und 18 Jahren mit der Diagnose F80 nach ICD-10 von 2010 und 2020 erhoben (ohne F80.2 und F80.3). Im Jahr 2020 waren im Schnitt 7,6 Prozent der Kinder und Jugendlichen betroffen. Der Anteil in den verschiedenen Altersgruppen lag bei den 6- bis 10-Jährigen bei 15 Prozent, bei den 11- bis 14-Jährigen bei 5,2 Prozent und bei den 15- bis 18-Jährigen bei 2,1 Prozent.
Autor: KKH / © EU-Schwerbehinderung