Fachkräftemangel bedroht die Arbeit für Menschen mit Behinderungen
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Vielfältige Barrieren hindern Menschen mit Behinderungen weiterhin an vollständiger Teilhabe, trotz der Erklärung von Barrierefreiheit als Menschenrecht. Der Sozialverband VdK Hessen-Thüringen betont, dass die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland noch deutliche Fortschritte erfordert. Kritisiert wird insbesondere die unzureichende Umsetzung von Barrierefreiheit in privatwirtschaftlichen Unternehmen. Der VdK fordert eine Reform des Landesbaurechts in Hessen und Thüringen, um Arbeitsplätze grundsätzlich barrierefrei zu gestalten.
Die Auswirkungen des Fachkräftemangels in den Einrichtungen der Behindertenhilfe werden immer gravierender. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage, die der Evangelische Fachverband für Teilhabe (BeB) unter seinen Mitgliedseinrichtungen durchgeführt hat. Die große Mehrheit der Befragten gab an, im ersten Halbjahr 2023 stark von den Auswirkungen des Fachkräftemangels betroffen zu sein. So bleiben 60 Prozent der offenen Fachkräfte-Stellen länger als sechs Monate unbesetzt. Dieser dramatische Personalmangel hat nicht nur organisatorische Konsequenzen, sondern wirkt sich auch direkt auf die Verfügbarkeit von Betreuungsplätzen aus. Eine Mehrheit von 53 Prozent der Befragten bestätigt, dass die Schwierigkeiten bei der Personalrekrutierung dazu geführt haben, dass Einrichtungsplätze nicht wiederbesetzt werden konnten. Anfragen von Menschen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen müssen also abgelehnt werden.
Diakonie-Sozialvorständin Maria Loheide: „Menschen mit Behinderungen brauchen professionelle Unterstützung, um ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Die Realität aber ist eine andere: Die Umfrage zeigt, dass der Fachkräftemangel dazu führt, dass die dringend notwendige Unterstützung für Menschen mit Behinderungen nicht ausreichend gesichert ist. Je weniger Stellen besetzt werden können, desto weniger Plätze stehen auch in den Einrichtungen zur Verfügung. Wir brauchen dringend eine gemeinsame Image-Kampagne für die Arbeit mit Menschen mit Behinderungen. Die muss unter Federführung des Bundesarbeitsministeriums für die Eingliederungshilfe auf den Weg gebracht werden.“
Pfarrer Frank Stefan, Vorstandsvorsitzender des BeB: „Die Umfrage-Ergebnisse verdeutlichen in alarmierendem Maße die Notwendigkeit, Sofortmaßnahmen zur Sicherung qualifizierten Personals in der Eingliederungshilfe zu ergreifen. Der anhaltende Fachkräftemangel bedroht die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen und stellt eine ernste Herausforderung für unsere Einrichtungen dar. Die Diakonie Deutschland und der BeB appellieren daher an Politik, Gesellschaft und Interessenvertreter*innen, gemeinsam Lösungen zu finden. Daher erwarten wir vom Bund, einen Runden Tisch zu initiieren, um dem Fachkräftemangel in der Eingliederungshilfe entgegenzuwirken.“
Die repräsentative Umfrage des Evangelische Fachverband für Teilhabe (BeB) unter seinen Mitgliedseinrichtungen fand zwischen dem 11. September und dem 16. Oktober 2023 statt. Diese finden sie hier.
Anlässlich des Internationalen Tages der Menschen mit Behinderungen positionieren sich Werkstätten für behinderte Menschen für die Teilhabe am Arbeitsleben. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen e. V. (BAG WfbM) betont die Notwendigkeit einer Reform des Werkstättensystems und setzt sich für eine Verbesserung der Einkommenssituation der Werkstattbeschäftigten ein. Sie plädiert für eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Werkstattleistung und warnt vor Qualitätsverlusten durch Ausschreibungen.
Seit jeher beobachten Werkstätten gesellschaftliche und technische Entwicklungen nicht nur, sondern sie gestalten sie konsequent im Sinne der Menschen mit Behinderungen mit. Daher stehen Werkstätten der nun angestrebten Reform grundsätzlich offen gegenüber. Denn eine stete Weiterentwicklung der Werkstattleistung ist notwendig, um die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen auch zukünftig zu gewährleisten. Die BAG WfbM befindet sich daher in einem engen Austausch mit politischen Vertreter*innen und beteiligten Verbänden und bringt sich mit ihrer Expertise in den Reformprozess und das Gesetzgebungsverfahren ein.
„Auch wenn die Intensität und Priorität des Themas Werkstättenreform nicht zuletzt auch von der aktuellen Haushaltsdebatte im Bundestag und anderen gesellschaftspolitischen Herausforderungen abhängt, ist es von höchster Wichtigkeit, unaufhörlich an der Weiterentwicklung des Werkstättensystems zu arbeiten, Gespräche zu führen, im Austausch zu bleiben und die Werkstattleistung für die Menschen mit Behinderungen weiterzuentwickeln“, so Berg.
In Bezug auf den Abschlussbericht zur „Studie zu einem transparenten, nachhaltigen und zukunftsfähigen Entgeltsystem für Menschen mit Behinderungen in Werkstätten für behinderte Menschen und deren Perspektiven auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt“ positioniert sich die BAG WfbM ausdrücklich zu den daraus abgeleiteten Reformvorschlägen der Politik.
Entgeltsituation muss jetzt verbessert werden
Aus Sicht der BAG WfbM und ihrer Mitglieder ist es mit den derzeit geplanten Änderungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales nicht möglich, ein mindestens existenzsicherndes Einkommen für alle Werkstattbeschäftigten zu erreichen. Eine Angewiesenheit auf Grundsicherungsleistungen muss bei einer Vollzeitbeschäftigung entfallen. Das ist auch das Ergebnis der Entgeltstudie.
Berufliche Bildung für alle
Das Recht aller Menschen mit Behinderungen auf berufliche Bildung muss umgesetzt werden. Werkstätten verfügen über alle technischen und personellen Voraussetzungen zur Erbringung von Leistungen der beruflichen Bildung für Menschen mit Behinderungen. In Werkstätten gibt es Expertise für den Personenkreis sowie berufliche Bildung auf Außenarbeitsplätzen oder mittels Praktika in Kooperationen mit Unternehmen. Gleichzeitig warnt die BAG WfbM vor dem Qualitätsverlust, der mit einer Ausschreibung der Leistungen des Berufsbildungsbereiches durch die Bundesagentur für Arbeit einhergehen würde.
Inklusion kann nur gemeinsam gelingen
Menschen mit Behinderungen sollen ein echtes Wahlrecht haben, wo sie arbeiten wollen. Alle Menschen mit Behinderungen müssen die Wahl haben zwischen Leistungen zur Teilhabe in einer Tagesförderstätte, einer Werkstatt, im Rahmen des Budgets für Arbeit oder des Budgets für Ausbildung, einer Unterstützten Beschäftigung, bei einem anderen Leistungsanbieter oder in anderen Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation. Die BAG WfbM weist darauf hin, dass bei allen Übergängen immer das individuelle Wunsch- und Wahlrecht der Menschen handlungsleitend sein muss. Die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsleben ist eine gemeinschaftliche Aufgabe. Hier bedarf es eines gesellschaftlichen Umdenkens. Nur zusammen können Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Werkstätten die inklusive Arbeitswelt von morgen gestalten.
Werkstätten für behinderte Menschen werden sich weiterhin den negativen Entwicklungen in der Gesellschaft entgegenstellen, für die Nachteilsausgleiche von Menschen mit Behinderungen eintreten und einen gesellschaftlichen Beitrag für mehr Inklusion und Teilhabe leisten.