Die Angst der Menschen mit Behinderung: ‘Ich bin nicht genug’
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Das Phänomen "Ich bin nicht genug" bezieht sich auf das Gefühl der Unzulänglichkeit, bei dem Menschen denken, dass sie in irgendeiner Weise nicht den Erwartungen oder Standards entsprechen, sei es in Bezug auf ihre Leistung, ihr Aussehen, ihre Beziehungen oder andere Aspekte ihres Lebens. Es handelt sich um ein universelles Thema, unabhängig von körperlichen Fähigkeiten, und es wurden schon einige Studien und Forschungsarbeiten zu diesem Phänomen durchgeführt.
It’s a thing!
Schläferzelle
Diese tief verwurzelte Überzeugung ‘Ich bin nicht genug’ ist wie eine Schläferzelle, die zu beliebigen Zeiten aktiviert werden kann. Sie hat die Kraft, das eigene Selbstbild tiefgreifend zu beeinflussen. Dieser Satz, der sofort ein Gefühl auslöst, wird bei dem einen schneller, beim anderen langsamer bis fast nie getriggert.
Behinderung und der Satz ‚Ich bin nicht genug‘
In einer Welt, die oft von Perfektionismus und Wettbewerb geprägt ist, können Menschen mit Behinderungen sich mit dem Gefühl konfrontiert sehen, "nicht genug" zu sein. Dieses Gefühl wurzelt tief in Glaubenssätzen, die durch ständige Vergleiche und internalisierten Ableismus genährt werden. Die gute Nachricht: es ist möglich, diese negativen Überzeugungen zu überwinden und ein erfülltes Leben zu führen.
Die drei Ebenen von ‘Ich bin nicht genug’
Grundsätzlich gibt es drei Ebenen, die bei dem Satz ‘Ich bin nicht genug.’ eine Rolle spielen. Um etwas Ordnung in das dunkle Gefühls-Chaos zu bringen, sollten diese Ebenen unterschieden werden.
A. Normen der Gesellschaft
Wir sind alle durch die Gesellschaft geprägt. Wobei ‘Gesellschaft hier wie ein Sammelbegriff fungiert, für Religion, kulturelle Normen, Zeitgeist, Erziehung, Freundeskreis etc. Diese Prägungen sind meist so selbstverständlich, dass man sie erst bemerkt, wenn man das gewohnte Umfeld verlässt, in einer anderen Stadt lebt oder fremde Länder bereist. Der Spruch ‘Andere Länder, andere Sitten’ kommt nicht von ungefähr.
B. Internalisierter Ableismus.
Internalisierter Ableismus beschreibt das Phänomen, wie Menschen mit Behinderungen unbewusst gesellschaftliche Vorurteile verinnerlichen und sich selbst als weniger wertvoll betrachten. Meist ist es die eigene - meist völlig unbewusste - Erwartungshaltung an sich selbst, die ein entspanntes Leben erschwert.
C. De fakto Einschränkungen
Behinderungen können zu physischen und psychischen Einschränkungen in verschiedenen Lebensbereichen führen, sei es in der Berufswelt, in sozialen Interaktionen oder bei Freizeitaktivitäten. Dies kann bei Betroffenen das Gefühl verstärken, nicht genug zu sein, weil sie das Gefühl haben, nicht das gleiche Maß an geforderter Leistung erbringen zu können. Diese Einschränkungen sind je nach Behinderung und Grad der Behinderungsehr individuell.
Was kann ich tun?
Es gibt viele Empfehlungen in der Literatur, wie man aus dem ‘Ich bin nicht genug’-Loch wieder raus kommt. Wie bei einem Puzzle sind viele ineinandergreifende Einzelteile nötig, um das große Ganze greifbar zu machen.
Hier ein paar wichtige Puzzleteile für ‘Ich bin genug.’
- Fragen (zur Selbstreflektion) stellen, betrifft alle drei Ebenen (u.a Wer hat das zu mir gesagt? Habe ich das vielleicht aus dem Verhalten interpretiert? Will ich das wirklich glauben? Welche Norm will ich da gerade erfüllen? Mit wem vergleiche ich mich? Welche Erwartungshaltung will ich erfüllen? Meine eigene? Was würde mir entsprechen?)
- gut sichtbar Zettel hinkleben mit der Aufschrift: ‘Ich bin genug’
- Spiegelarbeit (für die innere Haltung)
Es gilt:
Du h a s t Gedanken und daraus resultierende Gefühle. Du b i s t nicht Deine Gedanken.
Persönliche Erfahrung einer Rollstuhlfahrerin
Als ich über den Zeitraum weniger Monate - für mich selbstverständliche - Fähigkeiten verlor, stand dieser Satz ‚Ich bin nicht genug.‘ in grossen, fetten Buchstaben vor meinem inneren Auge. Da war eine sehr leise, innere Stimme, die sagte: ‚Quatsch! Du bist genug!‘. Aber wie bei einem zarten Pflänzchen, das permanent genährt werden muss, dauerte es Jahre, bis diese leise Stimme laut genug war, um diese großen Buchstaben schrumpfen zu lassen. Es ist noch heute - 8 Jahre nach Ausbruch der Immunstörung - ein Ritual: ich atme mehrmals tief durch und denke: ‚Ich bin genug. Ich habe genug. Ich tue genug.‘
Fazit
Die Überzeugung "Ich bin nicht genug" ist ein verbreiteter Glaubenssatz, unabhängig von körperlichen und mentalen Fähigkeiten. Er hindert daran, das eigene Potenzial zu entfalten und hält ‘klein’. Durch das Bewusstmachen und Hinterfragen dieser Überzeugung, das Vermeiden von Vergleichen, das Überwinden von internalisiertem Ableismus und der Durchführung von Spiegelarbeit können Behinderte beginnen, sich selbst in einem positiveren Licht zu sehen. Jeder noch so kleine Schritt in Richtung Selbstakzeptanz und Selbstliebe ist ein Schritt zu einem erfüllten und glücklicheren Leben.
Autor: Natascha Höhn
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