Tariflöhne steigen auf 5,6 Prozent und stärken die Kaufkraft
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Die Tariflöhne in Deutschland steigen im Jahr 2023 nominal gegenüber dem Vorjahr um durchschnittlich 5,6 Prozent. Die Zuwachsrate ist damit mehr als doppelt so hoch wie 2022, als die Tariflöhne lediglich um 2,7 Prozent anstiegen. Dies ergibt sich aus der vorläufigen Jahresbilanz, die das Tarifarchiv des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung vorlegt. Die hohen Tarifzuwächse erfolgen vor dem Hintergrund einer nach wie vor sehr hohen Inflationsrate. Angesichts einer für das Gesamtjahr 2023 zu erwartenden Steigerung der Verbraucherpreise um 6,0 Prozent ergäbe sich hieraus ein durchschnittlicher Rückgang der tarifvertraglich vereinbarten Reallöhne von 0,4 Prozent. In dieser Berechnung kann die Wirkung der in vielen Branchen vereinbarten steuer- und abgabenfreien Inflationsausgleichsprämien allerdings nicht in vollem Umfang berücksichtigt werden. Bei einem Teil der Beschäftigten dürfte die finanzielle Bilanz daher positiver ausfallen.
„Die Kaufkraft der Tarifbeschäftigten konnte im Jahr 2023 annähernd gesichert werden,“ sagt der Leiter des WSI-Tarifarchivs, Prof. Dr. Thorsten Schulten. „Allerdings bleiben die erheblichen Reallohnverluste der beiden Vorjahre, die nicht innerhalb einer einzigen Tarifrunde ausgeglichen werden können.“ Während die Tariflöhne in den 2010er Jahren real kontinuierlich zugenommen haben, stiegen die Preise 2021 und vor allem 2022 deutlich stärker als die Löhne, so dass sich die Tariflöhne preisbereinigt heute wieder auf dem Stand des Jahres 2016 befinden.
Wirkung von steuer- und abgabenfreien Inflationsausgleichsprämien
In den meisten Tarifabschlüssen des Jahres 2023 wurden sogenannte Inflationsausgleichsprämien vereinbart. Hierbei handelt es sich um steuer- und abgabenfreie Einmalzahlungen, die den Beschäftigten, im Vergleich zu einer regulären Tariferhöhung, einen höheren Nettolohn und den Arbeitgebern niedrigere Arbeitskosten ermöglichen. Je nach Tarifbereich variieren die Inflationsausgleichsprämien zwischen 1.000 und 3.000 Euro und werden über einen Zeitraum von zwei Jahren in mehreren Tranchen oder auch als monatliche Zusatzzahlungen ausgezahlt.
Da die Steuer- und Abgabenersparnisse bei den Inflationsausgleichsprämien, je nach Steuerklasse und Haushaltskontext, sehr unterschiedlich ausfallen, sind sie in den Berechnungen zur durchschnittlichen Tariflohnentwicklung lediglich als Bruttoeinmalzahlungen berücksichtigt. Um die darüber hinaus gehenden Steuer- und Abgabenersparnisse der Inflationsprämie zu bewerten, hat das WSI-Tarifarchiv zusätzlich auf der Grundlage der durchschnittlichen Steuer- und Abgabenquote für einzelne Tarifbranchen Modellrechnungen durchgeführt. Wenn der „Brutto-für-netto“-Effekt der Inflationsausgleichsprämien berücksichtigt wird, fallen die Tariflohnerhöhungen 2023 in einigen Branchen deutlich höher aus. Beispielsweise steigen die Tariflöhne im Öffentlichen Dienst (Bund und Gemeinden) unter Berücksichtigung der Steuer- und Abgabenersparnisse um 9,8 Prozent, ohne diesen Effekt sind es 6,8 Prozent.
„Die steuer- und abgabenfreien Inflationsausgleichsprämien haben 2023 in vielen Tarifbranchen dazu beigetragen, dass Reallöhne nicht nur gesichert, sondern teilweise auch deutlich angehoben werden konnten“, sagt Schulten. „Da es sich hierbei um Einmalzahlungen handelt, wirken sie sich mit ihrem Auslaufen in den Folgejahren jedoch stark dämpfend auf die Lohnentwicklung aus.“
Überproportionale Anhebungen der unteren Tariflohngruppen
Die Inflationsprämien haben auch eine deutliche soziale Komponente und führen zu einer überproportionalen Lohnerhöhung bei unteren Tariflohngruppen. Dieser Effekt wurde außerdem dadurch verstärkt, dass in vielen Tarifabschlüssen des Jahres 2023 prozentuale Tariflohnerhöhungen kombiniert wurden mit festen Mindestbeträgen beim Lohnzuwachs, was ebenfalls zu überproportionalen Tariferhöhungen bei den unteren Lohngruppen geführt hat. „Die Tarifvertragsparteien haben damit der Tatsache Rechnung getragen, dass die unteren Lohngruppen in besonderem Maße unter den hohen Preissteigerungsraten leiden“, so der WSI-Tarifexperte Schulten.
Bei der Berechnung der durchschnittlichen Tariferhöhungen hat das WSI-Tarifarchiv Tarifvereinbarungen für insgesamt 14,8 Millionen Beschäftigte berücksichtigt. Hierzu gehören sowohl Tarifabschlüsse aus den Vorjahren 2022 und früher, die in diesem Jahr wirksam wurden, als auch die Neuabschlüsse aus 2023. Werden nur die Altabschlüsse aus dem Jahr 2022 und früher berücksichtigt, so ergibt sich hieraus eine Steigerung der Tariflöhne um 5,1 Prozent. Die Neuabschlüsse des Jahres fielen hingegen mit 6,5 Prozent deutlich höher aus.
Ausblick
Nach wie vor gibt es in der Tarifrunde 2023 auch einige ungelöste Tarifkonflikte. Dies gilt insbesondere für den Einzelhandel sowie den Groß- und Außenhandel, wo bereits seit mehreren Monaten verhandelt wird, ohne dass bislang ein Ergebnis erzielt werden konnte. Hinzu kommen die derzeit laufenden Tarifauseinandersetzungen im Öffentlichen Dienst bei den Ländern sowie in der Stahlindustrie. Im Jahr 2024 starten dann wieder Tarifverhandlungen in großen Tarifbranchen wie dem Bauhauptgewerbe, der Chemischen Industrie und – in der zweiten Jahreshälfte – der Metall- und Elektroindustrie.
„Angesichts deutlich rückläufiger Inflationsraten dürfte sich der Druck auf die Tarifvertragsparteien 2024 wieder etwas entspannen“, sagt WSI-Experte Schulten. Allerdings besteht angesichts der Reallohnverluste der Vorjahre nach wie vor ein Nachholbedarf. „Steigende Reallöhne sind auch deshalb wichtig, um die schwache Konjunkturentwicklung in Deutschland zu stabilisieren.“