Deutschlands Grenze der Barrierefreiheit und Inklusion
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Eigentlich ist Inklusion und Teilhabe etwas, was uns die UN-Behindertenrechtskonvention ins Buch geschrieben und zu deren Umsetzung sich Europa verpflichtet hat. Ganz Europa? Nein, da war dieses kleine gallische Dorf, nennen wir es mal Deutschland. Als wir diese Worte gelesen haben: "bei André das Geld leider sehr knapp, weshalb er an manchen Aktivitäten, wie etwa Kleingruppen-Freizeiten, nicht teilnehmen kann", klingelten die Alarmglocken.
André, wer ist dieser junge Mann? André ist 25 Jahre alt, behindert, wohnt in einer Wohngruppe mit sieben anderen Menschen. Durch die Wohngruppe hat er die Möglichkeit ein selbstbestimmtes Leben zu führen und die gesellschaftliche Teilhabe wird ihm ebenfalls ermöglicht. Er ist ein fröhlicher junger Mann mit einer kognitiven Behinderung, die ihn auch körperlich beeinträchtigt. Zudem erschwert ein Hüftschaden das Laufen, aber kurze Strecken mit dem Rollator sind möglich. André arbeitet in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen. Nun soll es ein Benefizkonzert für André geben, damit Teilhabe und Inklusion von André nicht am Geld scheitert. (Hier mehr Details)
Es scheitert also in diesem kleinen gallischem Dorf an Geld. Dabei sollten doch gerade die SGB XII Grundsicherungsleistungen dafür sorgen, das Teilhabe und Inklusion möglich werden. Betonung liegt aus "sollte", denn das kleine gallische Dorf ist ein Held darin, die Kritik der UN (Vereinten Nationen) zu ignorieren, die bereits 2018 in einem Bericht den zu geringen Sozialsatz (Grundsicherung) kritisierte. Da könnte der Verdacht aufkommen, dass man das in dem kleinen gallischen Dorf, nicht so mit Menschenrechten hat.
Nehmen wir andere Situationen. Es ist Karneval. Alle feiern, nehmen an Umzügen teil. Toll, auch für Menschen mit Behinderungen kein Problem, wenn da nicht dieses menschliche Bedürfnis wäre, was uns alle paar Stunden wieder einholt. Kein Problem, so sollte man denken, wenn da nicht wieder am nächsten Behinderten- WC "Außer Betrieb" stehen würde.
Sogar an der "Fridays for Future", die letzten Freitag in Hamburg statt gefunden hatte, war das zu spüren. Die Veranstalter hatten wohlbedacht, WC- Häuschen gemietet, jedoch keines für Menschen mit Behinderung. Wozu auch, denn der Veranstaltungsort hatte ja ein öffentliches WC für behinderte Menschen, welches sogar mit dem Euro-Schlüssel geöffnet werden konnte. Doch auch dort "Außer Betrieb". Hamburger Innenstadt? Ja da gibt es immerhin ein einziges am Rathausmarkt befindliches öffentliches WC.
Der Senat von Hamburg, reagiert bei solchen Themen lieber erst gar nicht und lässt Anfragen in hanseatischer Arroganz, unbeantwortet. Wenn wir schon bei Hamburg sind. Die Hanseaten haben gewählt und schon hagelt es an Kritik, was den barrierefreien Zugang zur Wahlurne anging. Laut "TAZ" sind in Hamburg nur 24 Prozent aller Wahllokale zugänglich. „Auch Menschen mit Behinderungen müssen ihr Wahlrecht wahrnehmen können“, sagt Cansu Özdemir, sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion. Dabei hatte Hamburg sich so viel Mühe gegeben. Briefwahl konnte man online beantragen und mitten in Hamburg, am Gerd-Hauptmann-Platz, also mitten im Zentrum Hamburgs, gab es eine zentrale Briefahlstelle, die vollständig barrierefrei erreichbar war. Zudem hatte Hamburg sich so viel Mühe gegeben und im Internet extra die Kontaktdaten der Wahldienststellen veröffentlicht. Gut, auf der Internetseite sind "leichte Sprache" und "Gebärdensprache" durchgestrichen. „Der demokratische Akt des Wählens müsste mit den Wahlunterlagen leicht und schnell erfassbar dargestellt sein“, fordert auch Kerrin Stumpf, Geschäftsführerin des Elternvereins „Leben mit Behinderung“, in der "TAZ".
Diese Kritiken darf man aber eben nicht nur "hamburgspezifisch" sehen, denn es sind generelle Probleme bei Wahlen. Man kann ja auch keine Wunder in einem gallischen Dorf erwarten, welches vor noch nicht mal einem Jahr die Wahlmöglichkeiten für alle Menschen mit Behinderungen aus rechtlicher Sicht geschaffen hatte. Bereits 2017 schrieb der Bundeswahlleiter: "Bei Wahlen in Deutschland haben Wählerinnen und Wähler mit Behinderung die Möglichkeit, selbstbestimmt von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Es wird verstärkt darauf geachtet, Menschen mit Behinderung gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu lassen und ihnen eine selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen.". Das ist doch mal eine Aussage. Allerdings heißt es vom Bundeswahlleiter auch (der ist übrigens bei Landtagswahlen nicht zuständig) "Sollte der auf der Wahlbenachrichtigung benannte Wahlraum nicht barrierefrei sein, kann durch einen zu beantragenden Wahlschein die Stimme in einem Wahllokal des Wahlkreises mit barrierefreiem Zugang abgegeben werden." -
Verlassen wir Hamburg und setzen uns in den Zug. Naheliegend, denn hier gibt es mit dem Schwerbehindertenausweis und den entsprechenden Merkzeichen, durchaus gute Vergünstigungen. Nachdem die entsprechende Buchung, über die Bahn-App erst einmal scheiterte, da dort die Option der kostenlosen Platzreservierung für Menschen mit Behinderung einfach fehlt, heißt es den "Mobility Service" der Deutschen Bahn an zu rufen. Welche Überraschungen einen da erwarten können, zeigt jene Antwort die ein Rollstuhlfahrer erhalten hatte. Da sind dann die Hürden, um überhaupt das Bahngleis zu erreichen, weil wieder einmal alle Fahrstühle sich in einem "Wartungsmodus" versetzt haben, noch als geringfügig zu betrachten. Ganz abgesehen von dem Busfahrer des "HVV" der sich wartenderweise auf seinem Sitz befindet und hofft, dass sich ein Passant bequemt den mitfahrenden Rollstuhlfahrer zu helfen, in dem dieser die Rampe bereitstellt. Da könnte sich der HVV (Hamburger Verkehrsverbund) ja auch an anderen Städten orientieren. Tut er aber nicht und das obwohl, die "Hamburger Wallanlagen" (Stadtmauer) eigentlich seit 1814 nicht mehr existieren.
Somit bleibt zu hoffen, dass wenigstens der Karneval barrierefrei erlebt werden kann.
Autor: kk / © EU-Schwerbehinderung