Merkel will Infektionsschutzgesetzt verschärfen: "Jeder Tag, an dem die Notbremse bundesweit verhängt werden kann, ist ein gewonnener Tag."
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Im Plenum wurden heute die geplanten Änderungen zum „Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ beraten, dass bereits im Vorwege für viel Diskussionen sorgte und für einheitliche bundesweite Regelungen zu Bekämpfung der Corona-Pandemie dienen soll. In der Vergangenheit gab es immer wieder die Kritik, dass in Deutschland ein “Flickenteppich” herrsche und jedes Bundesland seine “eigenen Auslegungen” zu den Bund- Länderbeschlüssen definiert.
Der Entwurf mit der Drucksache: 19/28444 ist das Ergebnis der Beratungen im Kabinett und wird von Kritikern als “Entmachtung” der Länder betrachtet. Besonders die geplanten Ausgangssperren sind, so die Meinung der Kritiker, verfassungswidrig.
Beraten wurde auch ein Antrag der Linken, mit dem Titel „Mehr Sicherheit und Lebensqualität mit Schnelltests und Selbsttests für alle“ Drucksache: (19/27960).
Die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat in ihrer Rede erklärt, das Infektionsschutzgesetzt sei notwendig. Auch müsse man die Kräfte von Bund, Ländern und Kommunen besser bündeln als bisher. Aus diesem Grunde habe die Bundesregierung den Entwurf zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes eingebracht. Kurz eingebracht sei die Änderung, eine bundesweite Einsetzung der Notbremse. "Denn die Lage ist ernst, sehr ernst," betonte Merkel. Auch würde dieses besonders die Zahl der belegten Intensivbetten zeigen, so die Bundeskanzlerin. "Das Virus verzeiht keine Halbherzigkeiten." Auch seien die letzten Beratungen in der Bund-Länder-Runde für sie eine "Zäsur" gewesen. "Die Intensivmediziner senden einen Hilferuf nach dem anderen - und wer sind wir denn, wenn wir diesen nicht erhören?" Zudem bräuchten die Ärzte unsere Unterstützung. "Von uns allen." Wo die Inzidenz über 100 liegt, solle in Zukunft bundeseinheitliche Regelungen gelten. Ab dann sei die Notbremse nicht mehr Auslegungssache, sondern gelte automatisch. "Das Virus versteht nur eine einzige Sprache, die Sprache der Entschlossenheit."
Weiter sagt die Kanzlerin über Ausgangsbeschränkungen gebe es ja derzeit eine große Diskussion. Ob sie überhaupt etwas bringe und damit über die damit verbundenen Grundrechtseinschränkungen. Nach mehreren zwischen Rufen aus den Reihen der AfD-Fraktion macht der Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble eine allgemeine Bemerkung. Dass die Tragweite der derzeitigen Situation eine zivilisierte Debatte voraussetze. "Ich habe menschlich jedes Verständnis für den Impuls, hier ein Schlupfloch zu suchen und dort jenes." Merkel erklärt, wenn dieses den Betroffenen helfen würde, sei sie auch dabei. Jedoch würde dieses aber leider nicht helfen.
"Wir Politiker machen es Ihnen nicht immer leicht", beendet die Bundeskanzlerin ihre Rede. Auch wolle sie der Opposition für ihre kritisch-konstruktive Arbeit helfen und hat noch mal an die Abgeordneten appelliert: "Jeder Tag, an dem die Notbremse bundesweit verhängt werden kann, ist ein gewonnener Tag."
Die AfD Fraktionsvorsitzende, Alice Weidel hat Merkel vorgeworfen nur auf ausgewählte Wissenschaftler zu hören. Dabei sagte sie, dass die Kanzlerin sich mit der Gesetzesänderung eine Ermächtigung ins Gesetz schreiben will. Auch würden die Bürger das Vertrauen in den Staat verlieren. "Es wäre grotesk", betonte Weidel, "einer Regierung, die so oft das Vertrauen missbraucht hat, ihr bei diesem Gesetz die Zustimmung zur Ermächtigung zu geben." Darum lehne die AfD das Gesetz ab.
Die SPD-Fraktionsvize Bärbel Bas hat den Gesetzentwurf aus dem Kabinett der Kanzlerin verteidigt. So erwarte die Bevölkerung einheitliche Regelungen und keinen „Flickenteppich“, erklärt sie - die Corona-Lage sei ernst. „Wenn wir jetzt diese Maßnahmen, diese Kontaktbeschränkungen ergreifen, dann brauchen wir auch eine Perspektive“, mahnt Bas. Zudem sei ein „Aufholpaket“ nötig für die Schüler im Land. „Es ist wichtig, dass wir diese Maßnahmen machen und dass wir sie gemeinsam machen“, sagte Bas. Auch könne man noch das eine oder andere verhandeln, aber das Gesetz sei notwendig. „Ich bitte sie, konstruktiv in diese Beratungen zu gehen.“
Der FDP-Fraktionschef Christian Lindner betont zum Beginn seiner Rede: „Die Lage ist ernst." So müsse schnell, „wirksam und rechtssicher gehandelt werden.“ Gestern habe sich dieses von der Leitung der Charité in Berlin sich versichern lassen. Wirksame Maßnahmen seien die Maskenpflicht, Kontaktbeschränkungen, ein Testkonzept. Zudem müsse auch das Tempo beim Impfen erhöht werden – etwa, indem die Zeit zwischen der Erst- und Zweitimpfung gestreckt werde. "Schnelle, sichere und rechtssichere Maßnahmen stehen uns zur Verfügung." Zudem sei das jetzige Vorhaben der Gesetzesänderung eine Reaktion auf die gescheiterte Osterruhe. Auch sei es eine falsche Reaktion auf das Scheitern der Osterruhe, das es keine Absprache mit den Ländern gegeben hat und das Gesetz in den Bundestag nun eingebracht wurde. Die neue bundesweite Notbremse sei ein Misstrauensvotum gegenüber der kommunalen Ebene. "Das, was sie zur Ausgangssperre hier regeln wollen, ist verfassungswidrig." Die FDP werde nun der Regierung Vorschläge machen, wie man Gesetzesänderung rechtssicher macht.“ Seine Partei werde Vorschläge einbringen, um das Gesetz „verfassungsfest“ zu machen. Lindner ist mit Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) wiederholt ins Wortgefecht gekommen - und hat dabei aufmerksam gemacht unter Verweis auf den SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach auf die mögliche Gefahr eines „Dauerlockdowns“. So sehe er einen „massiven sozialen Schaden“, sollten die Menschen über Wochen in ihren zuhause bleiben müssen, während es draußen hell ist.
Die Grüne-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt kritisiert ebenso den Gesetzentwurf. So gab es im März Lockerungen wider besseres Wissen, nur spüre man die Konsequenzen. Viele Bürger seien unterdessen in Not, von den Laden-Besitzern bis zu Kulturschaffenden. Die Hilfen seien zu spät gekommen, auf der anderen Seite habe die Bundesregierung zu wenig getan, um mit der Solidarität der Bürger die Corona-Pandemie zu bekämpfen.
„Das Gesetz reicht nicht aus. Es genügt nicht, um die dritte Welle zu brechen“, mahnte Göring-Eckardt. Die Gesetzesänderung sei nur ein Notbehilf und nicht die dringend benötigte Strategie, um aus der Krise zu kommen. Auch sei eine Inzidenz von 100 zu spät, um erst zu bremsen. "Wenn sie mich fragen, in den Schulen müsste eigentlich klar sein: 'Wechselunterricht ab 50'", so Göring-Eckhardt. Denn es brauche lebensnahe Regeln. "Lieber draußen als drinnen." So fordert sie vor einer Zustimmung eine Veränderung am parlamentarischen Gesetzentwurf. Es zähle aber jeder Tag.
Der Gesetzesentwurf soll mit den Ergebnissen der heutigen Debatte, noch am Wochenende beraten werden und geht dann in der nächsten Woche in die abschließende Beratung erneut in den Bundestag. Ob und welche Änderungen zu erwarten sind, bleibt abzuwarten.
Gesetzentwurf der Koalition heißt es:
Die Koalitionsfraktionen wollen mit dem Gesetzentwurf dem Bund bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie mehr Handlungsmöglichkeiten ermöglichen, um wie es darin heißt „eine bundesweit einheitliche Steuerung des Infektionsschutzes zu gewährleisten“. Dabei heißt es im Infektionsschutzgesetzt § 28b, überschreitet ein Landkreis oder eine kreisfreie Stadt an drei aufeinander folgenden Tagen die Anzahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen den Schwellenwert von 100, sollen in Zukunft bundeseinheitliche Regelungen gelten. Danach sollen private Zusammenkünfte auf die Angehörigen eines Hausstandes, sowie eine weitere Person begrenzt werden. Von der Regelung ausgenommen sind Kinder unter 14 Jahren.
Zudem sollen zwischen 21 Uhr und fünf Uhr des Folgetages Ausgangsbeschränkungen gelten. Dabei sollen jedoch Aufenthalte außerhalb einer Wohnung oder einer Unterkunft erlaubt bleiben, wenn diese etwa zur Berufsausübung, zur Abwendung einer Gefahr für Leib, Leben oder Eigentum, insbesondere eines medizinischen oder veterinärmedizinischen Notfalls oder anderer medizinisch unaufschiebbarer Behandlungen, zur Wahrnehmung des Sorge- oder Umgangsrechts, zur Ausübung des Dienstes oder des Mandats, der Berichterstattung durch Vertreterinnen und Vertreter von Presse, Rundfunk, Film und anderer Medien, zur unaufschiebbaren Betreuung unterstützungsbedürftiger Personen oder Minderjähriger, der Begleitung Sterbender oder der Versorgung von Tieren dienen.
Schließung von Geschäften und Freizeiteinrichtungen
Bei einer Sieben-Tage-Inzidenzwert von 100 sollen auch die Öffnung untersagt werden von Freizeiteinrichtungen, Museen, Kinos, Theatern und ähnlichen Einrichtungen. Gleiches soll für Gaststätten gelten. Weiterhin erlaubt soll sein, die Auslieferung von Speisen und Getränken sowie deren Abverkauf zum Mitnehmen. Dabei sollen laut dem Gesetzentwurf die meisten Geschäfte schließen. Ausgenommen sollen von der Regelung der Lebensmittelhandel einschließlich der Direktvermarktung, Getränkemärkte, Reformhäuser, Babyfachmärkte, Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Optiker, Hörgeräteakustiker, Tankstellen, Stellen des Zeitungsverkaufs, Buchhandlungen, Blumenfachgeschäfte, Tierbedarfsmärkte, Futtermittelmärkte und Gartenmärkte.
Weitere Einschränkungen sind auch für die Ausübung von Sport und die Inanspruchnahme körpernaher Dienstleistungen vorgesehen. Zudem sei auch die Zurverfügungstellung von Übernachtungsangeboten zu touristischen untersagt. Demnach sollen die Regelungen außer Kraft treten, wenn der Inzidenzwert von 100 an fünf aufeinander folgenden Werktagen unterschritten wird.
Regelungen für den Schulbetrieb
Für den Schulbetrieb sind weitere Einschränkungen vorgesehen. Danach sollen Schulen, Berufsschulen, Hochschulen, außerschulische Einrichtungen der Erwachsenenbildung und ähnliche Einrichtungen ab einem Inzidenzwert von 200 den Präsenzunterricht einstellen. Jedoch sollen Ausnahmen für Abschlussklassen und Förderschulen möglich sein.
Zudem sieht der Entwurf einen Teststrategie für Schüler und Lehrer vor. So sollen sie zweimal wöchentlich auf das Coronavirus getestet werden, um am Präsenzunterricht teilnehmen zu dürfen, heißt es im Gesetzentwurf.
Antrag der Linken
Die Linken fordern mehr Schnelltests und Selbsttests. Selbsttests ermöglichten es den Menschen, sich aktiv an der Bekämpfung der Corona-Pandemie zu beteiligen und andere zu schützen, heißt es im Antrag Drucksache: 19/27960 der Fraktion.
Dabei fordern die Linken, flächendeckend die Möglichkeit zu schaffen, mehrmals pro Woche für alle kostenlose Selbsttests zu erhalten. Zudem sollen für Kitas und Schulen verpflichtend mindestens zweimal in der Woche Corona Schnelltests für Kinder und Personal angeboten werden, heißt es im Antrag.
Autor: md / © EU-Schwerbehinderung